Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
Vom Netzwerk:
meinem Weg hinüber zu Judy drehte ich mich mehrmals um die eigene Achse und ließ den Blick dabei über die nun wieder erleuchtete Lichtung schweifen. Sie wirkte noch immer verlassen.
    Aus dem Wald schien uns niemand zu beobachten, und auch das Zelt war immer noch dunkel.
    Judy stand weiter mit hängendem Kopf da. Nichts deutete daraufhin, dass sie etwas von meiner Anwesenheit ahnte.
    Während ich auf sie zutrat, schob ich die Pistole in die Hosentasche und versteckte die Hand mit dem Stein hinter meinem Rücken.
    Mein Schatten fiel auf Judy und nahm mir die Sicht. Ich trat einen Schritt zur Seite.
    Ihr Körper glänzte, als hätte ihn jemand mit Öl eingerieben.
    »Judy?«, flüsterte ich.
    Sie bewegte sich nicht.
    Ich streichelte sie sanft mit der linken Hand. Ihre Haut war glatt, nass und heiß.
    »Judy?«, fragte ich wieder, diesmal ein wenig lauter.
    Sie reagierte noch immer nicht. Meine Hand war inzwischen unterhalb ihrer rechten Achsel angekommen.
    »Judy«, sagte ich leise. »Wach auf. Ich bin’s.«
    Keine Reaktion.
    Ich holte aus und versetzte ihr mit der flachen Hand einen Schlag seitlich gegen den Oberkörper, sodass ihre Brüste wippten. Mit einem leisen Keuchen hob Judy den Kopf und sah mir direkt in die Augen.
    »Es wird alles gut«, sagte ich. »Ich bin hier, um dich zu retten.«
    Ihre Augen blickten unruhig umher, und durch den Knebel war ein gedämpftes Stöhnen zu hören.
    Ich schaute über meine Schulter, um sicherzugehen, dass sich niemand von hinten anschlich, und wandte mich wieder an Judy.
    »Ich dachte, du wärst tot«, log ich. »Jemand hat uns aus dem Hinterhalt überfallen und auf dich geschossen. Erinnerst du dich?«
    Sie schüttelte langsam den Kopf.
    »Du bist zusammengebrochen, und ich bin weggerannt, und als ich wieder zurückkam, warst du nicht mehr da. Dann habe ich überall nach dir gesucht, aber erst als ich das Feuer sah, habe ich dich gefunden. Warte noch einen Augenblick, Judy, dann bringe ich dich weg von hier.«
    Sie nickte und stöhnte wieder.
    »Ich mache jetzt den Knebel ab, aber du musst ganz leise sein.«
    Während ich noch immer den Stein hinter meinem Rücken verbarg, versuchte ich mit der linken Hand, den Knoten des Halstuchs an ihrem Hinterkopf zu öffnen, was mir aber nicht gelang.
    Also trat ich hinter sie, legte den Stein auf den Boden und begann mit beiden Händen, den straff zusammengezogenen Knoten zu lösen.
    Wozu machte ich mir überhaupt die Mühe?
    Warum schlug ich ihr nicht einfach den Schädel ein und brachte sie ein für alle Mal zum Schweigen?
    Vielleicht aus demselben Grund, aus dem ich auch das Feuer wieder in Gang gebracht hatte. Fragt sich nur, welcher das war.
    Wollte ich den Augenblick hinauszögern, an dem ich sie umbringen musste?
    Vielleicht.
    Woher soll ich das wissen? Ich bin schließlich keine Psychologin.
    Ich weiß nur, dass ich den Knebel einfach entfernen musste. Als ich den Knoten endlich gelöst hatte, nahm ich Judy das Halstuch ab und stopfte es in die Hosentasche. Dann nahm ich den Stein wieder in die Hand und trat nach vorne.
    Judy atmete durch den Mund gierig ein und aus, als hätte sie jemand längere Zeit unter Wasser gedrückt.
    »Alles in Ordnung?«, fragte ich.
    Sie nickte und schnappte weiter nach Luft.
    »Wer hat dir das angetan?«
    »Weiß … nicht.«
    »Wieso nicht?«
    »Kann mich nicht … erinnern.«
    »Weißt du denn wenigstens, wie du hierhergekommen bist?«
    Sie schüttelte schwach den Kopf.
    »Oder wer dich verprügelt hat?«
    »Nein.«
    »Und wer hat dich an diesen Baum gebunden?«
    »Ich weiß nur, wie wir zu dem Picknickplatz gegangen sind.
    Nebeneinander. Du und ich. Wir haben Tony gesucht. Und dann …
    ich weiß nicht … irgendwer muss … mich hierhergebracht haben.«
    »Aber wer das war, weißt du nicht?«
    »Tony vielleicht?«, fragte sie.
    »Keine Ahnung«, antwortete ich. »Ich habe auch nicht gesehen, wer auf dich geschossen hat. Aber bestimmt war es derselbe, der dich hierhin gebracht hat. Meinst du denn, Tony könnte auf dich schießen?«
    »Keine Ahnung. Ja. Vielleicht. Er war so … verrückt nach mir.«
    »Hat er denn eine Waffe?«
    »Ja.«
    »Dann könnte er es tatsächlich gewesen sein. Glaubst du denn, dass er in dem Zelt da drüben ist?«
    »Weiß nicht.«
    »Möglich wäre es«, meinte ich. »Irgendwer ist bestimmt da drinnen.«
    »Oh Gott.«
    Sie klang, als hätte sie große Angst.
    »Keine Sorge. Ich bringe dich gleich weg von hier.«
    »Beeil dich. Bitte!«

    »Schau hinüber zum Zelt und

Weitere Kostenlose Bücher