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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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sag mir, wenn er herauskommt.«
    Sie nickte.
    »Egal, ob es nun Tony ist oder nicht.«
    »Okay.«
    »Ich muss dich jetzt erst mal losbinden.«
    »Okay.«
    Weil ich den Stein nicht noch einmal ablegen wollte, steckte ich ihn mit dem spitzen Ende nach unten in die rechte hintere Tasche meiner Jeans.
    Dann hob ich beide Arme und trat so nahe an Judy heran, dass ich die Krempe ihres Hutes im Gesicht spürte. »Den nehmen wir als Erstes weg«, flüsterte ich und zog ihr mit einer sanften Bewegung den Hut vom Kopf.
    Sie zuckte zusammen.
    »Entschuldigung.«
    »Ist schon okay.«
    Ihr schweißnasses Haar klebte in golden glänzenden Locken ganz eng am Kopf. Blut konnte ich keines entdecken, aber ich sah ein weiteres rotes Halstuch, das, zu einem dünnen Päckchen zusammengefaltet, knapp oberhalb des linken Ohrs an ihrem Schädel klebte. Die Ohrmuschel war am oberen Rand ein Stück eingerissen und blutverkrustet.
    Ich drehte mich zur Seite und schleuderte den Hut weg. Im Licht des Feuers sah ich, wie er nach ein paar Metern in einem Gebüsch landete.
    Als ich mich wieder Judy zuwandte, löste sich das zusammengefaltete Halstuch von ihrem Kopf und fiel herab auf ihre Schulter. Ich nahm es und steckte es ebenfalls ein, bevor ich mir die Schusswunde genauer ansah.
    Es sah ganz so aus, als hätte die Kugel Judy lediglich in einem schräg nach oben führenden Spur gestreift und ihr dabei nur wenige Zentimeter Haare und Kopfhaut weggerissen. Die Haare rings um die Wunde waren mit geronnenem Blut verklebt, aber frisches Blut konnte ich nicht entdecken.
    »Da hattest du aber Glück«, flüsterte ich.
    »Findest du?«
    »Es war nur ein Streifschuss.«
    »Tut aber scheußlich weh.«
    »Aber wenigstens bist du nicht tot.«
    »Ich fühle mich, als hätte ich den schlimmsten Kater aller Zeiten.«
    »Vielleicht hättest du das Bier nicht trinken sollen.«
    »Sieht ganz so aus«, sagte sie. Ihre Lippen waren von den Schlägen, die ich ihr mit dem Ast verabreicht hatte, so geschwollen, dass sie kein Lächeln zustande brachte.
    »Du brauchst zwei Aspirin, dann geht es schon wieder«, sagte ich.
    »Aber dazu muss ich dich erst einmal von hier fortbringen.« Ich streckte mich und griff nach dem Seil, das um ihre Handgelenke gebunden war. Dabei ließ es sich nicht vermeiden, dass unsere Körper sich berührten. Wenn ich das Seil entfernen wollte, musste ich ihr so nahe kommen. Weil ich mein Hemd noch immer nicht zugeknöpft hatte, rieb sich unsere nackte Haut aneinander.
    »Entschuldigung«, flüsterte ich.
    »Das macht nichts«, erwiderte Judy. Ihr Mund war meinem so nahe, dass ich ihren Atem an meinen Lippen spürte. Ich war zwar ein wenig größer als Judy aber sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, und jedes Mal, wenn sie etwas sagte oder ausatmete, strich mir ein warmer, sanfter Luftzug um den Mund.
    Unsere Brüste befanden sich auf gleicher Höhe und als sie sich berührten, bemerkte ich, dass auch ihre Brustwarzen ganz steif waren.
    »Hast du Angst?«, flüsterte ich.
    »Ja.«
    »Ich auch. Aber keine Sorge, ich hole dich hier raus.«
    »Mach schnell.«
    »Ich tue mein Bestes. Wo sind denn deine Kleider?«

    »Weiß ich nicht.«
    »Vielleicht im Zelt?«
    »Kann sein.«
    »Oder hat er sie verbrannt oder irgendwo im Wald liegen lassen?«
    »Ich … ich weiß nicht, wo sie sind. Sie sind einfach weg.«
    »Dieser Knoten ist ziemlich kompliziert«, sagte ich, was eine Lüge war, denn ich hatte gar nicht vor, ihn zu lösen, sondern tat nur so.
    »Kriegst du ihn nicht auf?«, fragte Judy besorgt.
    »Doch, ich schaffe es schon.«
    »Und wenn er kommt?«
    »Dann sagst du es mir. Ich werde schon mit ihm fertig.«
    »Aber er hat eine Waffe.«
    »Echt?«, fragte ich. Einen Augenblick lang hatte ich meine eigene Lügengeschichte vergessen.
    Judy sah mich erstaunt an. »Er muss doch eine haben, oder?«, fragte sie. »Womit hätte er denn sonst auf mich schießen sollen?«
    »Stimmt. Das habe ich vergessen. Großer Gott, wenn er mit einer Waffe auf uns losgeht, dann sind wir erledigt.«
    »Vielleicht solltest du wegrennen und Hilfe holen.«
    »Und dich hier zurücklassen? Kommt nicht infrage. Wir sitzen beide im selben Boot.«
    Sie murmelte »Danke« und schob ihren Kopf ein Stück nach vorn, bis ihre Wange meinen Unterkiefer berührte. Dann schmiegte sie ihr Gesicht ganz eng an meinen Hals und flüsterte: »Danke. Du riskierst dein Leben für mich.«
    »Ich bin eben eine tolle Frau«, antwortete ich.
    »Stimmt«, sagte sie. »Das bist du

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