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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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wirklich.«
    Ich hantierte noch ein paar Augenblicke mit dem Seil herum, dann sagte ich: »Der Knoten sitzt zu fest. Außerdem tun mir die Arme weh.« Ich ließ das Seil los und schlang meine Arme um Judys Oberkörper. »Keine Angst, ich gebe nicht auf«, sagte ich und drückte Judy sanft an mich. Sie zuckte zusammen und wurde ganz starr. »Entschuldigung. Hat das wehgetan?«
    »Ein bisschen.«
    »Er hat dich wirklich in die Mangel genommen.«
    »Sieht ganz so aus. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, aber mir tut alles weh. Auch drinnen.«
    »Dieser verdammte Bastard!«
    »Hoffentlich hat er mich nicht auch noch geschwängert.«
    »Darüber brauchst du dir jetzt keine Sorgen zu machen. Das kriegen wir schon hin. Jetzt ist erst einmal wichtig, dass wir lebend hier herauskommen.«
    »Versuchst du, mich aufzuheitern?«
    »Und? Schaffe ich es?«
    »Eher nicht.«
    Ich drückte sie noch einmal ganz sanft und sagte: »Dann mache ich mich mal wieder an die Arbeit.« Ich ließ sie los, hob wieder die Arme und widmete mich abermals dem Knoten.
    »Wenn du mich hier rausbringst, verdanke ich dir mein Leben«, hauchte Judy.
    »Vergiss es«, sagte ich.
    »Dann tue ich alles für dich.«
    »Wirklich alles?«
    »Alles.«

    Probleme
    »Alles« ist ein großes Wort, aber als Judy es sagte, klang es nicht so, als würde sie lügen. Auch ihre Behauptung, sie könne sich an nichts mehr erinnern, kam mir ziemlich glaubhaft vor.
    Aber was war, wenn sie doch log?
    Und sich an alles erinnerte?
    »Was ist los?«, flüsterte Judy.
    »Was?«
    »Du bist plötzlich so verspannt. Ich kann es spüren.«
    »Das ist nur der Knoten«, sagte ich. »Er ist einfach zu fest.« Ich schüttelte den Kopf und ließ den Strick los. Und nahm Judy in die Arme.
    »Gibst du schon auf?« Sie klang ängstlich, wie ein Kind in der Dunkelheit.
    »Nein! Ich gebe dich niemals auf. Ich muss mir nur eine neue Strategie überlegen.«
    »Was ist mit dem anderen Ende?«, fragte Judy. »Es ist hinter mir am Baum festgeknotet.« Auf einmal wurde ihr ganzer Körper völlig starr, und ich verstand, was sie vorhin mit »verspannt« gemeint hatte. Sie fühlte sich an, als ob sie unter Strom stünde. »Vielleicht kannst du das aufknüpfen«, fügte sie an, als wäre nichts gewesen.
    »Probier’s doch mal.«
    »Du hast ihn doch gesehen«, sagte ich. Ich ließ Judy los und trat einen Schritt zurück.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe niemanden gesehen. Ich weiß nur, dass mich jemand an diesen Baum gebunden hat. Keine Ahnung, wer es war und warum er das getan hat. Ich habe mich bloß irgendwann mal umgedreht und den Strick gesehen. Das ist alles.«
    »Warum bist du so nervös?«

    »Warum wohl? Mein Gott, Alice, wenn wir nicht bald von hier verschwinden, kommt der Typ aus dem Zelt und macht uns beide kalt!«
    »Ehrlich?«
    »Klar doch! Was glaubst du denn?«
    Ich legte ihr die Hände an die Hüften und fragte: »Warum erzählst du mir nicht die Wahrheit, Judy?«
    Sie sah mir direkt in die Augen und holte tief Luft. Ich spürte, wie sich ich Brustkorb hob und senkte und ihr ganzer Körper zitterte.
    »Glaubst du etwa, ich habe mir das selber angetan?«, flüsterte sie.
    »Nein! Aber ich glaube, du weißt mehr, als du sagst.«
    »Mach mich los. Bitte. Es ist mir alles egal! Es ist mir völlig egal, was du mit mir gemacht hast. Ich will nur weg von hier, bevor er …«
    »Sag mir die Wahrheit, Judy. Nur die Wahrheit kann dich frei machen. Das steht schon in der Bibel.«
    »Du hast auf mich geschossen, Alice, nicht wahr? Und dann hast du mich auf diesen Tisch gelegt und hast … ich weiß es nicht mehr, was du alles mit mir gemacht hast. Du hattest einen Ast und hast mich … Ich glaube, du hast mich damit k.o. geschlagen, und als ich wieder aufgewacht bin, warst du weg. Ich bin vom Tisch geklettert und habe mich im Gebüsch versteckt. Und dann bin ich weggerannt von dir, und irgendwo im Wald hat er mich dann gefangen. Bitte, Alice, mach mich von diesem Baum los. Ich habe keinen Schimmer, warum du das alles gemacht hast, und es ist mir auch egal. Ich erzähl’s keinem. Versprochen. Das bleibt alles unter uns. Nur hol mich um Himmels willen hier raus!«
    »Du hast mich angelogen«, murmelte ich. Einen Moment lang hatte ich Lust ihr wieder wehzutun.
    »Dass ich in deiner Schuld stehe, war ehrlich gemeint. Hol mich hier raus, und ich tue alles für dich. Du kriegst mein ganzes Geld und alles, was ich sonst noch habe. Wenn du willst, komme ich mit dir und lebe bei dir als

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