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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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war ich richtig traurig, dass das Vergnügen schon vorbei war.
    Ich spülte die Pfanne und das Geschirr von Hand ab und räumte alles wieder in den Schrank. Am liebsten hätte ich noch eine zweite Bloody Mary getrunken, aber ich widerstand der Versuchung. Die erste hatte mir gute Laune gemacht, aber noch eine hätte mich wahrscheinlich umgehauen.
    Ich brauchte einen klaren Kopf – und stabile Beine –, wenn ich dieses leidige Wahlwiederholungs‐Problem lösen wollte.
    Bevor ich das Haus verließ, hängte ich den Säbel über den Kamin und Charlies Kimono in den Schlafzimmerschrank und zog meinen Bikini von gestern an. Tonys Sachen wollte ich nach dem Waschen nicht wieder anziehen, sondern stopfte sie, nachdem der Trockner fertig war, in eine Einkaufstüte.
    Mit dieser Tüte und der Papiertüte von gestern verließ ich das Haus und ging hinauf in mein Zimmer über der Garage. Meine Handtasche und die ehester Tribüne nahm ich ebenfalls mit.
    Ich freute mich, wieder in meinem eigenen Reich zu sein.
    Irgendwie fühlte ich mich hier sicher und behaglich und wünschte, ich hätte dort bleiben, mich ins Bett legen und die Decke über den Kopf ziehen können. Und dann hätte ich am liebsten ein ganzes Jahr lang schlafen.
    Vielleicht später.
    Viel später.
    Zuerst musste ich Tonys Sachen verstecken. Ich hängte sein Hemd in meinen Schrank, als sei es mein eigenes, und faltete die abgeschnittene Jeans zusammen und legte sie zu anderen Shorts in eine Schublade. Auch das Taschentuch und das Halstuch wanderten in meine Schubladen, und den Notizblock sowie beide Schlüsselbunde steckte ich in meine Handtasche, während ich die Kassette des Anrufbeantworters in der Brusttasche eines alten Flanellhemdes hinten im Kleiderschrank versteckte.
    Jetzt waren nur noch die abgetrennten Beine von Tonys Jeans übrig. Sie bewiesen gar nichts, und es gab keinen Grund, sie zu verstecken oder zu vernichten. Also beschloss ich, sie mit ins Auto zu nehmen und dort als Lappen zu gebrauchen. Ich faltete sie zusammen und legte sie neben meine Handtasche.
    Dann zog ich den Bikini aus und schlüpfte in Tanga und BH, bevor ich mir überlegte, was ich darüber anziehen könnte.
    Das war keine einfache Entscheidung, vor allem, weil ich gar nicht wusste, was ich eigentlich vorhatte. Vielleicht aber spielten auch mein Schlafmangel und die Bloody Mary eine kleine Rolle.
    Nachdem ich mich endlich für eine schwarze Hose und eine knallrote Satinbluse entschieden hatte, ging ich mit meiner Handtasche, der Morgenzeitung und Tonys abgeschnittenen Jeansbeinen hinunter in die Garage.
    Ich nahm Judys Auto.
    Natürlich fuhr ich nicht gerne damit herum, aber in unserer Garage wollte ich es auch nicht stehen haben, und mit meinem eigenen Auto loszufahren wäre angesichts dessen, was ich vorhatte, die pure Idiotie gewesen.
    Niemand konnte hinterher Judys Auto mit mir in Verbindung bringen.
    Und niemand würde mich am Steuer erkennen. Nicht mit der Sonnenbrille und der roten Perücke.
    Jawohl. Ich trug eine Perücke.
    Ich besitze mehrere Perücken. Man weiß ja nie, manchmal muss sich eine Frau ein bisschen verkleiden. Oder sogar ziemlich verkleiden.
    Die roten Locken sahen verdammt billig aus, aber das war Absicht. Billig von oben bis unten. Rote Bluse, viel zu roter Lippenstift, goldene Ohrringe so groß wie Armreifen. Wenn mich jemand sah, würde er genau das sehen. Und mich, Alice, später niemals wieder erkennen oder identifizieren können.
    Ich fuhr zu dem Stadtviertel in der Nähe des Highway, das manche die Motel‐Strecke nennen, obwohl es dort sehr viel mehr gibt als bloß Motels. Auf beiden Seiten des Highways fand man auch jede Menge Restaurants und Tankstellen und sogar Obst‐ und Souvenirläden.
    Was ich zuerst brauchte, war ein öffentliches Telefon.
    Geschlossene Telefonzellen gibt es ja kaum noch, und weil ich nicht mit dem Lärm des Highways im Hintergrund telefonieren wollte, parkte ich das Auto und ging in ein Restaurant namens Pokey’s. Vorbei an der Kellnerin, die gerade eine Familie zu ihrem Tisch geleitete, eilte ich schnurstracks zu den Toiletten, wo es zwischen den Türen mit den launigen Aufschriften »Männlein« und

    »Weiblein« auch zwei Münzfernsprecher gab.
    Ich war allein.
    Ich zog den Notizblock und einen Stift aus der Tasche und schrieb mir eine Nummer aus dem Impressum der ehester Tribüne ab.
    Dann warf ich Geld ein und wählte.
    »Tribüne Abo‐Service«, meldete sich eine Frauenstimme. »Mein Name ist Yvonne. Was kann ich

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