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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Vernunft muss ich da doch erwarten können! Du bist keine fünf mehr.«
    Anneliese legte ihm einen Kloß auf den Teller und noch einen. Sie teilte reihum den Rotkohl aus, dann das Fleisch. Auf ihr Zeichen hin fassten sie sich an den Händen und sagten: »Wir wünschen uns einen guten Appetit.«
    Er schnitt ein Stück vom Fleisch ab, tunkte es in die Soße und steckte es sich in den Mund. Genussvoll kaute er, zerteilte währenddessen einen Kloß, spießte ein Stück davon auf und gabelte etwas Rotkohl dazu. Allmählich wich die Anspannung von ihm. »Siegfried!«, tadelte er milde, und schluckte herunter. »Bitte die Ellenbogen vom Tisch!«
    Als es klingelte, legte Anneliese ihr Besteck ab und sah ihn fragend an.
    »Ich erwarte niemanden«, sagte er und schnitt sich noch ein Stück vom Fleisch ab. »Wenn es wieder diese Bengel aus der Ringstraße sind, geh ich gleich heute Abend zu ihren Eltern und erzähl denen, was ich mir unter ordentlicher nationalsozialistischer Erziehung vorstelle.«
    Sie tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab und ging zur Tür. Nach einem kurzen, gedämpften Wortwechsel kam sie wieder. »Ein junger Mann möchte dich sprechen. Hat sich als ›Hans‹ vorgestellt.«
    Er rollte die Augen. Den ganzen Tag musste er sich mit diesem übereifrigen Assistentenanwärter herumplagen, und jetzt verfolgte der ihn auch noch nach Hause! Er stand auf und stampfte zur Tür.
    Hans grinste ihn an. »War gar nicht so leicht, Sie zu finden, Herr Kriminalinspektor.«
    »Erwartest du ein Lob dafür, dass du das Telefonbuch lesen kannst?«
    »Ich hab eine Entdeckung gemacht, ich …« Er errötete. »Entschuldigen Sie, dass ich … Störe ich Sie?« Hans spähte an ihm vorbei in die Wohnung.
    »Ja. Mein Essen wird kalt.«
    »Ich dachte, dass ich diesen Fund sofort melden muss. Da wollte ich nicht bis morgen warten, sondern gleich mit Ihnen reden.«
    »Also?«
    Er zog eine Streichholzschachtel aus der Manteltasche. »Hier.«
    »Du störst mich beim Abendessen, um mir eine Streichholzschachtel zu zeigen?«
    »Wenn Sie die bitte aufmachen wollen.«
    Entnervt zog Axel die Schachtel auf. Ein Zettel lag darin. Er klaubte ihn heraus, entfaltete ihn und las:
    Lieber Tommy, fliege weiter, hier wohnen nur die Ruhrarbeiter. Fliege weiter nach Berlin, die haben alle ›Ja‹ geschrien.
    »Wo hast du das her?«, fragte er.
    »Erst haben sie in Essen die Krupp-Werke so schwer bombardiert, dann auf Duisburg und Bochum Angriffe geflogen …«
    »Ich bin nicht begriffsstutzig, Hans. Sag mir, wo du die Schachtel her hast.«
    »Aus dem Gasthof Schnettler. Jemand am Nachbartisch wollte sich eine Zigarette anzünden, und da lag diese Schachtel herum. Könnte es sein, dass der Gastwirt in der Sache mit drinhängt?«
    »Ganz sicher. Er legt bei sich selbst die Botschaften aus. Meine Güte, Hans, du hättest dich lieber beim SD melden sollen! Dann könntest du schön Leute belauschen und ›Meldungen aus dem Reich‹ tippen und müsstest nicht mit wirklichen Kriminellen mithalten.«
    Der Assistentenanwärter schluckte.
    »Warte hier.« Axel lief zurück in die Küche und erklärte: »Muss noch mal in die Stadt. Du machst mir das nachher warm, ja?« Unter Annelieses enttäuschten Blicken stopfte er sich einen halben Kloß und etwas Sauerbraten in den Mund und nuschelte: »Sehr lecker, Annelieschen.« Dann war er auch schon zur Tür hinaus.
    Auf dem Weg zur Wirtschaft, in der lauen Abendluft, sagte Hans: »Herr Kriminalinspektor, darf ich einen Vorschlag machen?«
    »Nein.«
    Er lachte gequält. »Ich wollte fragen, ob wir vielleicht Handzeichen absprechen, mit denen wir uns verständigen können, wenn …«
    »Wir sind hier nicht beim Geheimdienst.«
    »Ich meine nur, wenn wir Leute befragen und uns einen Verdacht mitteilen möchten, ohne ihn den anderen zu verraten, dann könnten wir zum Beispiel einen gewissen Rhythmus auf den Tisch klopfen.« Er trommelte einen Takt auf sein Hosenbein. »Oder wir kratzen uns unauffällig am Ohr.«
    »Kratz dich, so oft du willst.«
    Hans schwieg für den Rest des Weges und kaute auf seiner Unterlippe herum. Kurz bevor sie den Gasthof betraten, sagte er: »Das kann man doch nicht so von der Hand weisen. Wir könnten einiges von der Abwehr lernen! Das unbemerkte Observieren von Personen beispielsweise oder das Infiltrieren von aufrührerischen Kreisen.«
    »Wir machen seriöse Polizeiarbeit«, wies er ihn zurecht. »Hör auf, Romane zu lesen, die rauben dir noch den letzten Funken Verstand.« Er

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