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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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dem Namen Trud . Ihr war überhaupt nicht nach Lesen zumute, aber irgendwie berührte es sie, dass er ihr etwas in ihrer Muttersprache gab. Es war, als wollte er ihr helfen, die Verbindung zur Heimat aufrechtzuerhalten.
    »Steht nichts Besonderes drin«, sagte er.
    Sie lachte. »Woher wollen Sie das wissen? Sie verstehen doch nicht mal unser Alphabet.«
    »Da muss ich nur den Absender kennen.«
    Nun war sie neugierig geworden. Sie kletterte vom Bett hinunter und beugte sich über den Karton. Das Paket war an seine Privatadresse gegangen in der Bismarckstraße. Ein Absender stand nicht darauf. »Wer hat Ihnen die Zeitungen geschickt?«
    »Der Fremdsprachendienst in Berlin-Charlottenburg.«
    »Die Deutschen geben ukrainische und russische Zeitungen heraus? Das wundert mich.«
    »Du musst bedenken, dass Millionen von Ostarbeitern im Land sind.«
    »Ach, und die will man einlullen.«
    Er hob die Brauen. »Was ein Text mit dir macht, be stimmst du immer selbst.« Er sah in die Runde. »Lest diese Wochenzeitungen und diskutiert anschließend darüber. Zu welchem Zweck informieren euch meine Landsleute über Stalins Kriegstaten? Welche Motivation steht hinter den einzelnen Berichten, und inwiefern ist ihre Sichtweise unvollständig?« Hartmann sprach bewusst langsam und artikuliert, als hoffe er, die Russinnen könnten ihn auch ohne Oksanas Übersetzung verstehen. Verwirrung stand in ihren Gesichtern. Sie wuchs noch, als Oksana das Gesagte übersetzte.
    Er bückte sich und holte Bücher aus dem Karton hervor. Nachdem er sie verteilt hatte, zögerte einen Moment, dann holte er weitere. »Ich hab eure großen Dichter ausgewählt, Tolstoi, Dostojewski, Schewtschenko. Erzählt niemandem davon! Sonst bekomm ich Ärger. Die Gestapo hat einen schnell im Verdacht, dass man zu freundlich ist zu den sogenannten Untermenschen. Wenn es nach denen geht, genügt es, dass ihr bis hundert zählen könnt. Ihr sollt Handlanger für die Herrenmenschen sein, nichts weiter.« Er blickte sich um, sah von einer zur anderen. »Aber mit der Bildung der Gestapoleute selbst sieht’s oft nicht so besonders aus. Also, kein Wort zu irgendjemandem! Und die Bücher verlassen nicht diesen Raum. Seht zu, dass die Wachposten sie nicht entdecken, sonst kriegt ihr Schwierigkeiten und ich ebenfalls.« Oksana übersetzte. Verlegen wartete er, bis sie fertig war.
    Niemand sagte etwas. Er verabschiedete sich freundlich, nahm den Karton und ging.
    Kaum hatte Oksana die Tür hinter ihm geschlossen, trat sie an Nadjeschkas Bett und kletterte hinauf. Sie setzte sich neben sie. Das Bettgestell knirschte. »Verstehst du jetzt, dass du Glück gehabt hast mit diesem Lager?«
    Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Warum tut er das?«
    »Man munkelt, dass er früher als Lehrer gearbeitet hat. Vielleicht kann er es einfach nicht ertragen, wenn jemand verdummt.«

10
    Die Stahltür fiel schwer ins Schloss. Der arme Hund würde das Tageslicht wohl nicht wiedersehen. Axel klopfte sich den Staub von den Ärmeln. »Ein paar Tage noch«, sagte er, »und unser Streichholzschachtelpartisan sitzt in der Nachbarzelle.«
    Hans fragte: »Wie kommt’s, dass sie ausländische Radiosender hören, wo doch an jedem Gerät der Warnvermerk angebracht ist? Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet. Denke daran! Ich meine, wie blöd kann man sein, das nicht zu verstehen?«
    Selbst bei ihm zu Hause hing die Karte am Radio. Aber es war wie mit allen Verboten: Man las sie und entschied dann doch eigensinnig. »Wie viele Kinder spielen auf Baustellen trotz der Verbotsschilder und ersticken dann in Sandgruben? Wie viele Minderjährige trinken selbst gebrannten Alkohol und werden schwer vergiftet ins Krankenhaus eingeliefert?«
    Hans wies auf die Tür. » Er ist ein Erwachsener. Sogar ein Studierter!«
    »Vergiss ihn. Er hat eine Straftat begangen und muss jetzt die Folgen tragen. Wenn sich jemand aus Neugier mal die Feindpropaganda anhört, allein und heimlich – das kann ich verstehen. Aber in der Gruppe, als regelmäßiges Treffen! Da mit fordert man die Staatsgewalt heraus. In so einem Fall hab ich kein Mitleid.« Axel mochte die Steinwache. Das Gefängnis war neu gebaut, sauber und modern, und er hatte es nicht weit bis zu seinem Büro im Vorderhaus. So ließen sich Verhöre und Aktenarbeit effizient erledigen.
    Sie passierten Stahltür um Stahltür. Überall

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