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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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raunte: »Mann, kann der reden. Herrlich.«
    »Ruhe!«, befahl Axel aus der Reihe hinter ihnen.
    Ortsgruppenleiter Bergmann ließ sich nicht stören. »Dieser Krieg wird entschieden durch die deutsche Fähigkeit zum Heldentum. Durch unseren Willen, unsere Nerven, unsere Härte. Wir schulden jedem einzelnen Stalingradkämpfer, dass wir nun erst recht allen Schicksalsschlägen trotzen.«
    Es wurde mucksmäuschenstill im Publikum. Stalingrad, das war das Schreckenswort, Hitlers einzige Niederlage. Stalingrad hatte bewiesen, dass der größte Feldherr aller Zeiten auch versagen konnte.
    »Wir trotzen unbeugsam allen Widerwärtigkeiten, die uns noch bevorstehen, bis zum Sieg. Der Name Stalingrad reißt uns empor, er hat den totalen Krieg eingeläutet, und das Läuten klingt in den Ohren unserer Feinde, bis wir sie geschlagen haben, Mann für Mann. Mit dem Blick auf die Stalingradhelden schreitet unser Volk heißen Herzens in den Kampf und an die Arbeit. Jeder Einzelne hat die heilige Verpflichtung, sich in den Produktionsprozess einzubringen und zum Endsieg bei zutragen. Wer durch Gerüchte oder Miesmacherei die Stimmung im Volk verschlechtert, soll für seine Zersetzungsversuche mit dem Tod bezahlen. Wenn Sie, verehrte Volksgenossen, ein solches Ungeziefer kennen, sorgen Sie für Zeugen und rufen Sie die Geheime Staatspolizei! Wir werden jeden Widersacher zertreten.«
    Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Die Gestapo fürchteten sie alle. Selbst Dr. Teipel, den Vorzeigenazi aus Arnsberg, hatte die Gestapo zu Fall gebracht. Eigentlich hätte er hier stehen, hätte gefeiert werden müssen. Man hatte nach ihm sogar den Brückenplatz im Zentrum der Stadt benannt, Heinrich-Teipel-Platz, welchem Lebenden wurde schon solche Ehre gewährt! Er war der Überwacher der Überwacher gewesen, der Gauinspekteur, zuständig für die politische Kontrolle der höheren Beamten Arnsbergs. Hatte als Abgeordneter für den Wahlkreis im Reichstag gesessen, war mit dem goldenen Parteiabzeichen geehrt worden. Dann kam der Absturz: Seine Frau hatte Lebensmittel ergaunert. Alle politischen Ämter wurden ihm aberkannt, die Gestapo ermittelte. Den Gerüchten nach hatte man ihn nach Osten abgeschoben, er sollte Gebietskommissar der Ukraine werden.
    »Einige wenige Jugendliche widersetzen sich der neuen Ordnung, sie verbringen ihre Zeit mit Gassenhauern, Schundliteratur und Negerrhythmen. Wir haben ein Auge auf diese Quertreiber. Auch die Letzten werden noch begreifen, was die Stunde geschlagen hat, wenn sie Seite an Seite mit unseren Helden an der Front stehen und dem Ansturm der Bolschewisten standhalten.«
    Sie drückte Oksana die Hand. »Danke für alles.«
    »Pass auf dich auf, Mädchen. Bist du sicher, dass Plöger weg ist?«
    »Ja. Die hatten Schichtwechsel vor einer halben Stunde.«
    »Grüß mir die Heimat.« Oksana standen Tränen in den Augen.
    »Wir umarmen uns besser nicht, sonst fällt das auf.« Sie erhob sich. Trotz der schäbigen Kochstelle, trotz der rußgeschwärzten Töpfe fiel es ihr schwer, die Lagerküche zu verlassen. Sie fühlte sich wie eine Schiffbrüchige, die von der unwirtlichen Insel, auf der sie gefangen gewesen war, Abschied nahm und sich stattdessen den Gefahren des Ozeans auslieferte. Im Lager hatte sie Essen und ein Bett gehabt. Da draußen hatte sie nichts.
    Agatha rief: »Was ist? Bist du dir jetzt zu fein zum Kartoffelschälen?«
    Nadjeschka tat, als hätte sie es nicht gehört. Sie ging hinaus, umrundete im hellen Schein der Hoflaternen die größten Pfützen und trat vor die Bürobaracke. Sie klopfte an die Tür, obwohl sie wusste, dass Georg Hartmann nicht da war. Nach längerer Wartezeit klopfte sie erneut.
    Robert Oestreicher, der alte bärtige Mann, kam, das Ge wehr über die Schulter gehängt, den Schäferhund an der Leine. »Der Lagerführer ist nicht da«, sagte er.
    »Ich muss ihn unbedingt sprechen.«
    »Das wird bis morgen warten müssen. Herr Hartmann ist jetzt nicht zu sprechen.«
    »Sie verstehen nicht. Ich hab etwas Dringendes zu melden! Als Barackenälteste.«
    Oestreicher musterte sie. »Mädchen, du scheinst mir etwas hysterisch zu sein. Neulich war es der Mondschein, ich weiß nicht, was es heute ist.« Er sah zum Himmel. »Der Mond kann’s nicht sein. Beruhige dich, das klärt sich alles morgen.«
    »Nichts wird sich morgen klären. Herr Hartmann hat mir eingeschärft, ich soll ihm in dieser Sache unbedingt Bescheid geben, wenn ich etwas höre. Unverzüglich.«
    Jetzt kniff der

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