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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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da steht der Kleiderschrank. Da ist die Tür. Meinen Sie, das Bett sollte besser an diese Wand? Sonst zieht es immer so vom Kopfende her.« Sie hielt ihm den Block hin.
    Er nahm ihn sprachlos an. Sie kannten sich gerade zwei Minuten, und sie fragte ihn schon, wo sie ihr Bett hinstellen sollte? Wie sollte er das verstehen? Während er verwirrt die Zeichnung begutachtete, gestikulierte sie mit dem Bleistift.
    »Da wäre auch noch Platz für ein kleines Nachtschränkchen. Und ich könnte am Abend den Mond sehen, das ist doch romantisch, wenn man vom Bett aus den Mond sieht, findest du nicht?«
    Er nickte. »Ja, das stelle ich mir sehr romantisch vor.«
    Sie tippte auf den Strich, der das Fenster darstellte. »Das geht in Richtung Osten raus. Wo soll ich das Bett hinstellen, was meinst du?«
    Gehorsam beugte er sich über die Zeichnung. »Also, ich denke, es steht schon ganz gut. Kann ich mal den Bleistift haben?«
    Sie hatte ihn nicht mehr in der Hand, er war plötzlich fort. Stattdessen sah sie ihm ins Gesicht. Lächelte. »Du hast schöne Augen, weißt du das?«
    Für einen Moment glaubte er, sich verhört zu haben. Warum wurde sie so vertraulich? Ihm brach der Schweiß aus. »Danke.«
    Nach kurzem Blinzeln, als müsste sie sich zusammenreißen, gab sie ihm den Stift. Sie lachte verlegen.
    »Da, schau, du könntest das Bett auch seitlich drehen und an diese Wand stellen.« Er kritzelte den Kasten neu aufs Blatt. Plötzlich hatte er einen trockenen Mund. Er räusperte sich. Nahm einen großen Schluck vom Bier. Heute schmeckte es ekelhaft.
    Sie spielte im Sitzen mit ihrem Schuh, ließ ihn von den Zehen baumeln, und plauderte weiter drauflos. »Ich komme aus London. Seit den ständigen Bombardierungen der Deutschen habe ich kaum noch ruhig geschlafen, deshalb bin ich aufs Land gezogen. Und wegen Angus. Das war mein Hund, ein Airedale Terrier. Ich musste ihn einschläfern lassen, Hunden ist der Zutritt zu Luftschutzbunkern verboten. Ich hätte ihn nicht oben in der Wohnung lassen können, er hätte sich zu Tode geängstigt. Hab mich von ihm verabschiedet und dem Tierarzt erklärt, ich will ihn nach dem Ableben lieber nicht sehen, das verkrafte ich nicht. Angus hat mich acht Jahre meines Lebens begleitet. Auch daran sind die Deutschen schuld, dass Angus sterben musste. Vierhunderttausend Haustiere wurden innerhalb von ein paar Wochen von den Tierärzten eingeschläfert, als die Deutschen angefangen haben, London zu bombardieren. Stell dir das mal vor! Ein Massenmord. Ich hasse sie dafür. Er spürt nichts, hat mir der Tierarzt gesagt. Aber natürlich hat er etwas geahnt. Beim Abschied auf dem Grünstreifen vor der Tierarztpraxis hat Angus mich mit großen traurigen Augen angesehen.«
    Er war plötzlich so müde, geradezu schläfrig! Dabei wollte er ihr doch zuhören, wollte ein guter Gesprächspartner sein. Er kämpfte dagegen an, versuchte, die Augen offen zu halten. »Entschuldigung«, nuschelte er. Und kippte nach vorn.
    Als er die Augen wieder öffnete, hielt sie ihn. Sie zupfte ihm eine Fussel vom Hemd – eine vertrauensvolle Geste, als wären sie schon lange befreundet. Sie fragte besorgt: »Hast du viel getrunken heute?«
    »Eigentlich nicht. Es geht schon. Ich bin wieder da.« Er richtete sich auf. Immer noch war ihm schwummerig zumute. Aber er konnte plötzlich geradeheraus sagen, was er fühlte. »Weißt du, du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe.«
    Ein Strahlen zog über ihr Gesicht.
    »Ich würde mich freuen, wenn wir Freunde werden könnten. Freunde fürs Leben.« Hatte er das wirklich gerade gesagt?
    »Das wäre wunderbar«, antwortete sie.
    Er musste weiterreden, sein Leben mit ihr teilen. »London, da war ich auch dabei, die ersten Angriffe der Deutschen. Für mich als Jagdpilot ein ungeheurer Anblick. Die Sonne auf den glänzenden Chromteilen ihrer Maschinen, es waren so viele, die drehenden Propeller, die gelben Nasen der Messerschmidt-Jäger, die ihre Bombergeschwader umgaben. Wir waren hoffnungslos unterlegen. Aber ich habe mich prächtig geschlagen, für einen Anfänger, versteht sich, ich war gar nicht mal übel. Da habe ich mich in das Fliegen verliebt, zum zweiten Mal verliebt. Weißt du, ich tanze gerne, außer Tango, den beherrsche ich nicht. Wir sollten mal gemeinsam in ein Tanzlokal gehen! Heute hat mich Guy Gibson zusammengefaltet wegen eines Fehlwurfs.«
    »Fehlwurf? Dann bist du Bomberpilot? Wie aufregend.«
    »Ja, inzwischen flieg ich keine Jäger mehr, sondern schwere Bomber.

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