Nachtblauer Tod
für mich. Sie brauchen mich nicht zu beschützen! Beschützen Sie lieber meinen Vater!«
Summerer trat einen Schritt zurück. Maik stellte sich zwischen Leon und den Anwalt. Leon knirschte unwillkürlich mit den Zähnen. Am liebsten hätte er wie ein Tier um sich gebissen. Eine unbändige Wut machte ihn fast verrückt.
Summerer brachte den Schreibtisch zwischen sich und die Gefahr. Dann sagte er: »Ich habe gleich einen Termin. Wir müssen das Gespräch jetzt leider beenden. Ich werde deinen Vater fragen, wie er das sieht, Leon. Wenn er damit einverstanden ist, bekommst du Akteneinsicht. Sonst nicht.«
Maik zog den widerspenstigen Leon zur Tür. »Danke, Herr Summerer, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.«
20
Leon machte einen Plan. Er ging davon aus, dass diese Kommissare, Büscher und Schiller, nicht gerade die hellsten Polizisten waren. Er wollte auf eigene Faust Ermittlungen anstellen, um seinen Vater aus dem Gefängnis herauszuholen. Es war gar keine Frage, sein Vater war unschuldig, und er würde es beweisen. Das war er seinem Vater und seiner toten Mutter schuldig.
Johanna hatte eine Freundin zu Besuch, und er war froh, sich zurückziehen zu können. Er hockte auf dem Sofa in Maiks Hobbyraum und schrieb die nächsten Schritte auf:
1. Akteneinsicht. Alles genau lesen. Was spricht für meinen Vater, was gegen ihn?
2. Zeugen suchen. Oma Schröder befragen. Vielleicht haben auch Kai Olschewski und seine Freundin was gehört oder gesehen. Papa muss an ihren Türen vorbei nach oben gegangen sein, als er zurückkam.
Leon fiel ein, dass sein Vater besonders schöne Fänge gerne herumzeigte. Ja, er gab mit seinem Anglerkönnen ganz schön an. Er hatte Frau Schröder schon mit Räucheraal versorgt, und sie war immer dankbar, wenn er ihr ein paar Weißfische, die für die Pfanne nicht taugten, für ihre Katzen mitbrachte.
Kai Olschewski hatte schon ein paar Forellen genommen für eine Grillparty. Wenn Leon sich nicht täuschte, war Kai sogar mal mit seinem Vater zum Nachtangeln rausgefahren. Das war aber noch, bevor er Kim kennengelernt und das Fitnessstudio eröffnet hatte.
Leon erhoffte sich viel von den Gesprächen. Sie waren gute Nachbarn. Wenn sich einer von ihnen an etwas erinnerte, so würde er es erfahren. Vielleicht hatten sie Beobachtungen gemacht, deren Bedeutung ihnen gar nicht klar war.
Leon beschloss, am nächsten Morgen noch nicht zur Schule zu gehen, sondern zuerst zu Oma Schröder und dann zu Kai Olschewski. Das Fitnessstudio öffnete erst um elf. Wie er Kai kannte, schlief der mindestens bis neun, denn das Studio schloss abends erst um dreiundzwanzig Uhr. Vor Mitternacht war Kai Olschewski selten zu Hause.
Es tat gut, einen Plan zu machen. Die einzelnen Schritte auf dem Papier nachlesen zu können, stimmte Leon zuversichtlich. Er brauchte etwas, woran er sich festhalten konnte, und er schuf es sich in diesem Chaos selber. Er fühlte sich dadurch nicht mehr so sehr als Spielball der Ereignisse, sondern er wurde selbst zum aktiven Mitspieler und konnte die Dinge in seinem Interesse beeinflussen.
Leon stand auf, weil er zur Toilette musste. Im Flur sah er Maik auf allen vieren vor der Badezimmertür knien.
»Was ist?«, fragte Leon und Maik zuckte erschrocken zusammen, wie ein Mensch, der damit rechnet, allein zu sein.
»Ich … ich habe eine Kontaktlinse verloren«, sagte Maik. Leon kniete sich sofort zu ihm, um beim Suchen zu helfen.
»Vorsicht. Die gehen leicht kaputt. Sie muss hier irgendwo sein …«
In dem Moment ging die Tür auf und Johannas Freundin guckte verwundert auf die beiden Männer, die vor ihr auf dem Boden herumkrochen.
»Wir knien vor dir, Prinzessin!«, lachte Maik.
Sie lief sofort rot an. Es war ihr peinlich, und sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie verschwand rasch wieder in Johannas Zimmer.
Leon sah hinter ihr her.
»Na bitte«, sagte Maik, »da ist sie ja.«
Leon stieg praktisch über ihn hinweg und ging zur Toilette. Dort fiel ihm glühend heiß etwas ein. Wenn der Täter keinen Türschlüssel gehabt hatte und es keine Einbruchsspuren gab, dann musste er auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass seine Mutter ihrem Mörder die Tür geöffnet hatte.
Vielleicht kannte sie ihn? Ganz sicher hätte sie nachts – im Pyjama – keinem Fremden geöffnet. Sie musste ihn sogar in ihr Schlafzimmer gelassen haben. Es gab keine Kampfspuren im Flur. Sie war auf ihrem Bett erstochen worden.
Wen kannte seine Mutter so gut? Vielleicht eine
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