Nachtblauer Tod
haben sich gezankt. Sie gaben keine Ruhe. Es war ein heftiger Lärm. Der Lampenschirm ist umgefallen. Erst wollte ich ja Molli rauswerfen, aber du weißt ja, wie ich bin. Ich kann kein Tier abweisen. Deshalb habe ich die beiden einfach nur getrennt. Ludmilla hat dann bei mir am Fußende geschlafen …«
Diese ewigen Katzengeschichten von Frau Schröder hatten Leon schon gelangweilt, als er noch ein kleiner Junge war, aber heute hatte er Mühe, die gute Frau nicht einfach zu unterbrechen. Ungeduldig ließ er sie ausreden.
»Und, haben Sie dann etwas gesehen oder gehört?«
»Nein. Es war alles ruhig. Nur die Katzen haben Lärm gemacht.«
»Wann sind Sie denn aufgewacht, Frau Schröder?«
Leon vermutete, dass dieses Gespräch nur Zeitverschwendung war, aber er konnte auch nicht so abrupt gehen.
»Keine Ahnung. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Ich denke, es war so zwischen zwei und drei Uhr. Es war draußen stockfinster. Molli ist bis zum Frühstück geblieben. Merkwürdig, dachte ich noch. Meist verzieht sie sich irgendwann nachts, wenn sie bei uns zu Besuch war, und schläft dann im eigenen Bett.«
Vielleicht, dachte Leon, hat sie sich nicht mehr zurückgetraut. Der Blutgeruch hat sie abgeschreckt. Aber das sagte er nicht, um die alte Dame nicht unnötig zu erschrecken.
Er bedankte sich für den Kakao. Am liebsten hätte er sich den Mund ausgespült, der süße Kakao ließ seine Zunge fast am Gaumen festkleben.
Kai Olschewski war nicht zu Hause. Bevor Leon ins Fitnessstudio ging, um ihn zu besuchen, stieg er eine Etage höher zur Wohnung seiner Eltern. Es fiel ihm schwer, die letzten Treppenstufen zu nehmen, er wollte nach dem Rechten sehen und hatte Angst davor.
Die Tür war wieder versiegelt. Leon öffnete sie nicht, obwohl es ein Leichtes für ihn gewesen wäre. Aber er drehte abrupt um und rannte aus dem Haus wie ein Flüchtling, hinter dem Verfolger her waren.
Wieder tat die Luft draußen gut. Leon japste richtig, als er auf der Straße angekommen war.
Er lief zu Olschewskis Studio. Die Stadt kam ihm merkwürdig fremd vor. Die Gesichter der Menschen schienen unecht, als seien sie maskiert.
Der Eisverkäufer lächelte so verschlagen.
Der Vertreter da mit der schwarzen Aktentasche hatte etwas Schmieriges an sich, und der nette kleine Junge sah aus, als würde er heimlich Tiere quälen.
Leon schüttelte sich, um sich gegen die Bilder, die vor seinem inneren Auge erschienen, zu wehren. Der Junge riss Spinnen und Käfern die Beine aus. Er hielt die Tiere in Marmeladengläsern gefangen. Die Bilder waren echt für Leon. Wahrer als die Wirklichkeit. Klar und überhaupt nicht verschwommen. Es war, als könnte er plötzlich hinter die Fassade sehen, als würde das Eigentliche sichtbar. Die schreckliche Wahrheit, wie Menschen wirklich waren.
Das Fitnessstudio war schon offen. Kai Olschewski mixte hinter der Theke im Muskelshirt Eiweißdrinks. Er hatte einen blauen Fleck am Hals von dem Faustschlag, den Leon ihm verpasst hatte, aber er nahm ihm das offensichtlich nicht krumm.
Es war eine hektische Ausnahmesituation gewesen, am Morgen nach dem Mord, und ein Junge, dessen Mutter ermordet worden war, konnte schon mal durchdrehen. So sah Kai Olschewski das.
Kim wies gerade einen Neukunden in die Geheimnisse des Rückentrainings ein. Sie saß aufrecht an der Latissimusmaschine, drückte ihre beeindruckende Brust heraus und zog mit beiden Armen in einer gleichmäßigen Gleitbewegung ein Dreißig-Kilo-Gewicht hoch. Dabei war das Muskelspiel an Schulter und Rücken schön zu beobachten, und der Anfänger sah genau hin.
»So, jetzt Sie«, sagte Kim und stand auf.
Der Neuling bemühte sich, eine gute Figur abzugeben. Leon durchschaute ihn sofort. Dieser Mann war völlig fasziniert von Kims Körperlichkeit, von ihrer Verliebtheit in Muskelabläufe. Er würde alles ganz genau so machen, wie sie es ihm empfahl, und natürlich würde er später – nach dem Probetraining – einen Zweijahresvertrag unterschreiben. Er war bereit, sein ganzes Leben umzukrempeln und alles zu tun, um so zu werden wie diese Menschen hier: Schön, stark, lebensfroh, potent.
Aber Leon sah es ihm an: Er würde es nie schaffen. Nie. Egal, wie sehr er sich auch abmühte, er würde immer das bleiben, was er war: Ein Bürohengst, der Angst vor seinem Abteilungsleiter hatte, und in den Augen seiner Frau und seiner Kinder ein Versager war. Daran konnten auch ein paar antrainierte Muskeln nichts ändern, und eine Frau wie Kim bekam er sowieso
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