Nachtblauer Tod
absoluter Fachmann auf dem Gebiet. Ich habe mal bei einer Fortbildung einen Vortrag von ihm gehört. Blutspuren sind seine Spezialität. Er wird auch ironisch ›Der Bluthund‹ genannt.«
Kommissar Büscher verzog das Gesicht. »Ja. Ich kenne ihn. Für ihn sind wir alle Idioten. Der gehört eigentlich gar nicht hierher, sondern nach L. A. oder Miami.«
Kommissarin Schiller deutete auf die Akte. »Wir können das nicht ignorieren!«
»Nein. Aber wer sagt uns, dass der Herr, nachdem er seine Frau umgebracht hat, nicht ganz in Ruhe seine Kleidung in die Waschmaschine gestopft hat und sich dann frisch angezogen ans Telefon gesetzt hat, um uns zu informieren?«
»An seiner Kleidung sind Spuren von Fischblut und Schleim nachgewiesen worden … das spricht dafür, dass er …«
»… sich mit dem toten Zander einmal kurz auf die Brust geklopft hat.«
Kommissarin Schiller schwieg eine Weile und dachte mit geschlossenen Augen nach. Sie drückte ihre Fingerspitzen gegeneinander. Das half ihr, sich zu konzentrieren. Dann stellte sie fest: »Du bist sehr überzeugt von seiner Schuld.«
»Ja. Bin ich.«
»So sehr, dass du andere Möglichkeiten außer Acht lässt?«
»Welche?« Er machte eine weit ausholende Geste. »Jeder Laborbericht mit seinen ach so wissenschaftlich untermauerten Fakten ist doch am Ende auch nur eine Frage der Interpretation. Ich gehe davon aus, dass wir den Richtigen eingelocht haben. Und jetzt ist es unsere Aufgabe, ihm das hieb- und stichfest nachzuweisen.« Stolz schwellte sich seine Brust. »Weißt du, wie hoch die Quote meiner Verurteilungen ist?«
Sie nickte. »Ja. Jeder hier weiß das.«
»Eben. Einhundert Prozent.« Er zeigte zum Fenster. »Da draußen laufen jede Menge Mörder frei herum. Wir wissen alle, dass sie es waren. Aber die Gerichte mussten sie freisprechen, weil die Beweislage zu dünn war, weil deren Anwälte mit klugen Anträgen und raffinierten Fragen Kollegen wie dich und mich vor Gericht als Deppen vorführen. Und …« Er steckte sein Rasierwasser wieder ein, »und weil die Kollegen es mit sich machen lassen. Mir hat noch kein Täter im Gerichtssaal eine lange Nase gedreht. Ich habe sie alle an den Hammelbeinen gekriegt.«
Kommissarin Schiller war sich nicht ganz im Klaren darüber, was Kommissar Büscher damit sagen wollte. Vorsichtshalber hakte sie nach: »Heißt das etwa, wir werden diesen Bericht ignorieren?«
Kommissar Büscher lächelte. »Ganz sicher nicht. Wir arbeiten korrekt. Aber wir werten den Bericht eben anders. Das steht uns frei.«
27
Als Leon zum Haus der Familie Fischer zurückkehrte, war sein Schlafzimmer belegt. Er hörte Bens Stimme schon von weitem. Der lachte sein unverschämt fröhliches Lachen, und ein Mädchen kicherte.
Leon wusste erst gar nicht, wie er sich verhalten sollte. Immerhin war er nur zu Gast in der Familie. Er hatte das Gefühl, zu stören.
Warum geht Ben mit seiner Freundin nicht in sein Zimmer, sondern in Maiks Hobbyraum, fragte Leon sich.
Er hörte das Klicken und Surren eines Fotoapparats.
Es war großzügig von Maik, ihn dort schlafen zu lassen, er wollte jetzt nicht so ungebeten in eine Fotosession hineinplatzen. Gleichzeitig war er unglaublich neugierig und verspürte den Drang, alles, was er erlebt und erfahren hatte, zu erzählen.
Doch erst einmal ging er in die Küche, holte aus dem Kühlschrank einen Erdbeerjoghurt und löffelte den Becher gierig leer.
Die Tür des Hobbyraums wurde ungestüm geöffnet. Leon zuckte zusammen. Schnell warf er den Joghurtbecher in den Müll. Er fühlte sich erwischt. Was zu Hause ganz selbstverständlich für ihn war, wurde hier nun plötzlich anders. Vermutlich hätte er erst jemanden der Familie fragen müssen, dachte er.
Klar hätte garantiert jeder »Ja« gesagt, aber trotzdem. Man geht nicht so einfach an fremder Leute Kühlschrank …
Schritte kamen näher. Der Gang hörte sich nach Johanna an. Auf jeden Fall eine weibliche Person, bildete er sich ein. Rasch öffnete er den Mülleimer noch einmal und nahm den Becher wieder heraus. Der gehörte in den Plastik- und nicht in den Biomüll. Er hatte keine Lust, sich von Johanna oder Frau Fischer belehren zu lassen.
Aber dann erschien niemand in der Küche. Es tippelte nur jemand zur Toilette. Wenige Sekunden später ging schon die Spülung.
Leon trank Wasser aus dem Hahn. Dann ging er aufrecht, mit erhobenem Haupt – wenn auch sehr aufgeregt – in Maiks Hobbyraum. Leon wollte erst klopfen, tat es dann aber bewusst
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