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Nachtblauer Tod

Nachtblauer Tod

Titel: Nachtblauer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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nicht. Wenn er hier wohnen durfte, dann war das, wenn auch nur auf Zeit, sein Zimmer.
    Das gleißende Licht der Scheinwerfer blendete ihn zunächst. Er hob schützend die Hände vor seine Augen.
    »Och nö! Was will der denn hier?«, motzte Jessy.
    »Hallo, Leon, komm rein!«, rief Ben.
    Leon blieb erst einmal einfach stehen und versuchte, sich zurechtzufinden. Ben fasste ihn an der Hand und führte ihn zum Sofa wie einen plötzlich Erblindeten. Leon ließ sich darauffallen, wollte dann aber nicht so hingefläzt herumhängen und setzte sich aufrecht hin.
    Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit, und er nahm erste Dinge wahr. Quer durch den Raum war eine Wäscheleine gespannt, daran hing ein weißes Bettlaken. Dahinter stand Jessy mit neuer Frisur. Ihre Haare standen wie elektrisch ab. Ihre Augen wirkten größer auf Leon und irgendwie glänzten sie, als würde sie von innen heraus strahlen.
    »Na, wie gefällt dir unser Engel mit den toupierten Haaren? Sieht sie nicht aus, als ob sie gerade vom Himmel auf die Erde gefallen wäre?«, scherzte Ben.
    Er kniete auf dem Boden vor dem Bettlaken und fotografierte Jessy, die hinter dem Laken stand.
    »Ja! Ja! So, und jetzt guck nach unten! Nein, nicht als ob du mich fressen wolltest. Guck unschuldig. Ja, so. Als ob wir nicht da wären«, forderte Ben und klang auf eine erstaunliche Art professionell.
    Ben war vollständig konzentriert. Er richtete einen Scheinwerfer neu aus.
    »Ja, genau so!«, freute Ben sich. »Mit den Bildern disqualifizierst du jedes Starmodel in jeder Agentur!«
    Aber Jessy drehte ihren Kopf abrupt weg.
    »He, was ist los, Jessy? Lass uns weitermachen. Jetzt bist du gerade warmgeschossen.«
    »Ich kann das nicht, wenn er dabei ist!« Jessy regte sich auf und zeigte mit dem Finger auf Leon. »Er soll abhauen, verdammt!«
    »Ja, klasse! Bleib so! Sieht irre authentisch aus, wenn du so trotzig und wütend guckst!«, feuerte Ben sie an.
    »Ich will das aber nicht! Er soll verschwinden!«
    Leon wollte aufstehen und sich verziehen, aber Ben drückte ihn mit links zurück aufs Sofa und fotografierte mit rechts weiter. »Bleib, Alter. Du siehst doch, du hilfst ihr unheimlich, so richtig wütend zu werden.«
    »Ich habe gesagt, er soll abhauen!«, schimpfte Jessy.
    »Genau so!«, freute Ben sich. »Wir brauchen Emotion. Wahre, unverfälschte Emotion! Das macht die Menschen an. Den ganzen künstlichen Dreck sind die Leute schon lange leid.«
    Wenn Leon sich nicht täuschte, war Jessy hinter dem Laken nackt. Er konnte es nicht wirklich sehen, es war mehr eine Ahnung, aber er fragte sich, warum sie hinter einem Bettlaken stand, wenn es um Nacktfotos ging. Er ahnte, dass das alles einen anderen Sinn hatte, auch wenn er ihn nicht verstand. Er fühlte sich denkbar unwohl und wollte nur noch weg.
    »Bleib, Leon. Es ist eine gute Übung für Jessy. Später, wenn sie profimäßig vor der Kamera steht, dann wuseln auch zig Leute um sie herum. Da kann sie auch nicht zickig werden und sagen: Nein, tut mir leid, wenn der zweite Beleuchter da so doof grinst, dann kann ich nicht …«
    »Ich … ich wollte echt nicht stören …«, sagte Leon. »Ich glaub, ich geh wirklich besser.«
    »Ja, hau endlich ab, du Vollpfosten!«, kreischte Jessy und funkelte Leon zornig an.
    In dem Moment fotografierte Ben und lachte triumphierend. »Ja! Wahnsinn! Mehr davon! Der Engel wird zum Raubtier!«
    Jessy bückte sich und war hinter dem Bettlaken nicht mehr zu sehen.
    Ben stieß Leon zurück aufs Sofa. Er raunte in Leons Ohr: »Halt durch, Alter. Nur noch einen Moment. Bleib einfach, damit diese Spannung im Raum gehalten werden kann. Ich steh darauf. Das gibt die besten Bilder.«
    Da tauchte Jessy hinter dem Laken wieder auf. Sie hatte einen Turnschuh in der Hand. Weiß, mit roten und goldenen Streifen, die den Schuh wie Blitze umgaben. Sie warf ihn in Richtung Leon, traf aber Ben. Der nahm es gelassen. Weil Jessy zu heftig ausholte, riss sie das Laken herunter und jetzt sah Leon, dass er recht gehabt hatte. Sie war tatsächlich nackt.
    Sie zog das Betttuch nun an ihren Körper und fluchte: »Das ist alles nur seine Schuld! Schmeiß den Gaffer endlich raus! Wenn er nicht abhaut, geh ich!«
    Aber Leon war schon aufgesprungen. Mit drei Schritten hechtete er zur Tür. Da flog der zweite Schuh heran. Der traf Leon.
    »Raaauus!«, brüllte Jessy.
    »Ja! Super!«, freute sich Ben und knipste ihren Gefühlsausbruch.
    Als die Tür sich hinter Leon schloss, hörte er Jessy noch

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