Nachtblauer Tod
verpasste ihm sofort eine Ohrfeige, die wie Salzwasser auf der Haut brannte.
»Wer soll die Bilder denn sonst gemacht haben, du feiger Lügner?!«
»Ben«, sagte Leon trocken, und jetzt knirschte das Eis gewaltig unter ihm. Er sah schon die weißen Bruchstücke neben sich, und seine Hände und Füße wurden kalt. Er begann, innerlich zu frieren. Er kam sich vor wie ein schäbiger Verräter. Er wollte kein Verräter sein, aber was blieb ihm anderes übrig?
Vor lauter Empörung wich die Spannung aus Johannas Körper. Ihre Muskeln wurden schlaff. Leon ließ sie jetzt vorsichtig los. Mit hängenden Schultern und halb offenem Mund stand sie vor ihm. Die Stirn vorgeschoben, das Kinn zurückgenommen, schielte sie ihn von unten an. »Was bist du doch für eine erbärmliche Kreatur. Jetzt beschuldigst du sogar Ben? Nur um besser dazustehen, bist zu bereit, ihn zu verunglimpfen? Der ist vielleicht der beste Freund, den du hast.«
Leon wurde stumm wie damals unter dem Eis. Er wollte schreien, aber er bekam keinen Ton heraus. Sollte er ihr alles sagen? Beschwor er damit einen Streit zwischen Ben auf der einen Seite und Johanna und Ulla auf der anderen herauf? Aber gab es außer der Wahrheit überhaupt einen Weg?
Er hatte Angst, gleich könnte Ben in der Tür stehen. Was würde er davon halten? Es zerriss Leon fast.
Dann kam zuerst Ben ins Zimmer und schließlich auch – vom Lärm angezogen und reichlich verpennt – Maik. Er reckte sich und gähnte.
Ben wollte wissen, was hier los sei.
Johanna holte tief Luft, sie sah aus, als ob gleich ein Orkan aus ihr herausbrechen würde, um das ganze Haus zu verwüsten, aber dann zeigte sie nur stumm auf den Bildschirm.
Ben guckte belämmert wie ein geschorenes Deichschaf.
Maik hatte die Situation sofort im Griff. Er machte lässig zwei Schritte zum Laptop und drückte die Fotos weg. Ein neutraler Bildschirmschoner erschien. Ein Bild von Ulla beim Skilaufen.
Maik lachte verschmitzt: »Peinliche Geschichte. Meine Sicherheitsraumüberwachungskamera hat, vermutlich ausgelöst durch die hellen Scheinwerfer, Aufnahmen gemacht und an den Host gesendet.«
»Häh? Was? Wie?«
Maik öffnete eine Schublade und holte eine Plastiktüte mit kleinen Kügelchen heraus, die aussahen wie runde Chips, auf Stoff genäht. »Meine kleine Erfindung arbeitet nach einem einfachen Prinzip. Wenn du etwas hast, das du vor Diebstählen schützen willst … ein wertvolles Bild zum Beispiel … dann bringst du diesen Chip an. Der schickt Signale an dieses Ortungssystem hier. Sobald der Gegenstand bewegt wird, schaltet sich die Kamera ein, die genau auf das Objekt gerichtet ist. Der Dieb wird gefilmt, der Alarm ausgelöst und mit dem Ortungssystem siehst du jederzeit im Umkreis von zehn, zwanzig Kilometern, wo das geklaute Teil ist, denn es sendet Signale. Ist noch nicht perfekt, aber könnte ein Knaller werden, wenn ich es zur Serienreife bringe.«
Als sei damit im Grunde alles erklärt, winkte er ab und zwinkerte Ben zu, der erleichtert aussah.
»Ich dachte, die Batterie sei längst leer. Ich hatte das Ding schon vergessen. Inzwischen bin ich mit einer Verbesserung beschäftigt. Ein noch leistungsstärkeres Modell, das sich nicht nach Licht, sondern nach Geräuschen ausrichtet …«
Das interessierte Johanna nun gar nicht. Sie sagte vorwurfsvoll: »Wieso ist Jessy hier in unserem Haus nackt?«
Ben stöhnte: »Sie brauchte Fotos von sich, Johanna. Sie will Schauspielerin werden.«
»Also noch mal ganz langsam. Ihr zwei …«, sie zeigte erst auf Ben, dann auf Leon, »habt hier in diesem Zimmer Nacktaufnahmen von Jessy gemacht? Äi, wie pervers ist das denn?«
»Ja, Spießie, reg dich nur auf!«, spottete Ben.
»Weiß Mama das?«, fragte Johanna angriffslustig.
»Noch nicht«, stichelte Ben, »aber lange kann es ja nicht mehr dauern.«
»Kinder«, sagte Maik, »macht aus einer Mücke keinen Elefanten. Ich hau mich jetzt wieder hin. Ich habe eine lange Nacht vor mir.«
Er fuhr den Computer runter, dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging zur Tür. Plötzlich stoppte er, hob die Hand gegen seine Stirn, als hätte er etwas vergessen, nahm seinen Laptop unter den Arm und wollte damit den Raum verlassen.
»Traust du mir jetzt nicht mehr?«, fragte Leon.
Maik sah ihn durchdringend an, grinste und stellte den Computer wieder auf den Platz zurück. Dann verschwand Maik mit dem gestischen Hinweis, er müsse schlafen.
Hinter ihm stampfte Johanna wütend aus dem Zimmer und schimpfte: »Man
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