Nachtblind
hatte Sex, nicht lange vor ihrem Tod, aber doch einige Zeit davor. Eine Stunde, vielleicht auch zwei Stunden vorher. Sie hat zwei oder drei kleine Kratzer sowie leichte Blutergüsse neben der Vulva. Verursacht durch Fingernägel, nehme ich an, gerade stark genug, um eine leichte Blutung hervorzurufen – aber die Blutergüsse hatten Zeit, sich zu entwickeln, noch ehe der Tod eintrat. Und es sieht so aus – genauer kann ich es Ihnen nach der Autopsie sagen –, dass die Frau, auch wenn die Kratzer und Blutergüsse auf grobe sexuelle Spielchen hindeuten, nicht penetriert wurde. Zumindest nicht durch einen Penis. Es sieht so aus, als ob die sexuellen Aktivitäten vornehmlich manuell und oral erfolgt seien. Es ist kein Sperma vorhanden.«
Lucas sah Sloan an, der den Arzt fragte: »Waren das jetzt alle drei Dinge oder sind wir noch bei Punkt zwei?«
»Zwei«, sagte der Arzt.
»Und was ist das dritte?«, fragte Lucas.
»Es sind keine Wunden zu finden, die darauf schließen lassen, dass sie sich gewehrt hat. Keine weiteren Blutergüsse, keine Anzeichen für einen Kampf, keine Anzeichen dafür, dass der Mörder sie irgendwie festhalten musste. Sie hat ihn nicht gekratzt – keine Hautfragmente unter ihren Fingernägeln. Ich konnte nicht einmal Anzeichen dafür finden, dass sie gestrampelt hat. Sie hat … einfach alles über sich ergehen lassen. Wer sie auch umgebracht hat, er hatte leichtes Spiel mit ihr.«
»Dope«, sagte Sloan. »Sie hat vielleicht noch nicht mal gemerkt, dass sie sterben musste.«
»Oh, ja, da ist noch eine vierte Sache«, sagte der Pathologe. »Sie hat einen Nadeleinstich am Arm, weitere zwischen den Zehen. Eine ganze Menge.«
»Eine Süchtige?«
»Das kann ich Ihnen erst später sagen. Wie ja nichts von dem, was ich vorgetragen habe, endgültig ist. Definitive Untersuchungsergebnisse kriegen Sie heute Nachmittag.«
Auf dem Rückweg schaute Lucas bei Rose Marie Roux herein und gab ihr einen kurzen Überblick über die Aussagen des Pathologen. Sie machte sich ein paar Notizen, sagte dann: »Es könnte sich also tatsächlich um einen Mord im Zusammenhang mit Drogen handeln …«
»Ja. Sehr wahrscheinlich sogar.«
»Wir haben noch eine halbe Stunde bis zur Pressekonferenz«, sagte Rose Marie. »Ich werde aller Welt versprechen, dass Sie den Mörder aufspüren und vor die Mikrofone und Kameras zerren werden.«
»Oder die Mörderin«, sagte Lucas.
»Wie?«
»Vielleicht war es eine Frau.«
Roux drehte sich zum Fenster, sah hinunter auf die leeren Bürgersteige, schüttelte dann den Kopf. »Nein. Es war ein Mann. Es war keine Frau, die Alie’e Maison ermordet hat.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja … Und, ernsthaft, Lucas …«
»Hmmm?«
»Wir würden echt gut aussehen, wenn wir den Fall schnell lösen würden.«
Rose Maries Sekretärin streckte den Kopf durch die Tür. »Lucas, Sloan ruft an, ein Mr. Plain sei angekommen.«
»Ich muss gehen«, sagte Lucas. »Viel Glück bei den Filmleuten.«
Sloan erwartete Lucas im hinteren Teil des Großraumbüros des Morddezernats. Er sprach mit einem dunkelhaarigen Mann mit schwarzen Augen, den man schmächtig hätte nennen können, wenn er nicht diesen kräftigen Brustkorb mit eckigen Schultern gehabt hätte, der ihm ein sehr robustes Aussehen verlieh; er hätte in einem Rock ’n’ Roll-Film einen zügellosen Biker spielen können. Er trug eine schwarze Lederjacke, eine schwarze Hose und ein schwarzes T-Shirt. Ein anderer Mann, fleischig, braunhaarig, sommersprossig, eine Baseballmütze mit der Aufschrift Star Wars Crew auf dem Kopf und einen silbernen Ring im Ohr, saß auf einem Holzstuhl einen Meter neben ihm.
Sloan sah Lucas kommen und sagte: »Chief Davenport, das sind Amnon Plain und ein Freund von ihm. Mr. Plain war gestern Abend auf der Party und ist bereit, eine Aussage zu machen.«
Der dunkelhaarige Mann nickte Lucas zu. Der braunhaarige sagte zu seinem Freund: »Nimm dir ’nen Anwalt, Kumpel.«
Plain fragte Lucas: »Brauche ich einen? Einen Anwalt?«
Lucas hob die Schultern. »Das weiß ich nicht. Haben Sie
Alie’e Maison ermordet?«
»Nein.« Sonst nichts; keine Erklärung, warum er es nicht getan haben konnte oder wollte, auch kein Protest gegen diese Frage.
Lucas sagte: »Wenn Sie uns eine einfache und überzeugende Story zu erzählen haben, wird es keine Probleme geben. Sollte es aber Unstimmigkeiten in Ihrer Aussage geben … dann sollten Sie einen Anwalt hinzuziehen.«
Plain sah den braunhaarigen Mann an, der sagte:
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