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Nachtblind

Nachtblind

Titel: Nachtblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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bist. Aber viele Frauen, besonders jüngere … lassen sich einfach treiben, haben Beziehungen sowohl zu Frauen als auch zu Männern. Es ist ja sogar eine Modesache.«
    »Okay …«
    »Hast du Alie’es Familie durchleuchtet?«
    »Ein Mitarbeiter hat es getan. Ihre Eltern habe ich getroffen. Ich glaube nicht, dass sie beim Wettstreit ›Gutes Haushalten‹
jemals den Test ›Kindererziehung‹ bestehen würden. Sie haben Alie’e vom Babyalter an im Land herumgeschleppt und gnadenlos ins Showbusiness gedrängt. Und dann von ihrem Geld gelebt.«
    »Mmm.«
    »Und sie hat einen beknackten Bruder.«
    »Das ist interessant – es lässt ahnen, dass es einigen ernsten Stress in der Familie gegeben hat.«
    »Ja. Er ist Prediger bei den Farmern irgendwo in der Nähe von Fargo. Verschenkt seine Kleidung.«
    »Doch nicht etwa … Tom Olson?«, fragte Elle.
    Lucas starrte den Telefonhörer an, nahm ihn dann wieder ans Ohr. »Ja. Kennst du ihn etwa?«
    »Er ist ein Heiliger. O Mann …«
    »O Mann« war bei Elle schon fast als Gossensprache zu betrachten. »Was ist?«, fragte Lucas.
    »Er ist wirklich ein Heiliger. Evangelischer Christ. Glaubt, der Tag des Herrn komme nächsten Monat oder nächstes Jahr oder so was, denn er sieht ihn herannahen. Heranrollen, wie eine Meereswoge. Kann sein, dass er schizophren ist; Ekstatiker ist er auf jeden Fall. Wir hatten eine Novizin hier von da oben, vom Red River. Sie fuhr eines Tages nach Hause, um ihre Familie zu besuchen. Tom Olson predigte in einer Bowlinghalle. Sie ging mit ein paar Freundinnen hin, nur so zum Spaß. Dann kam sie hierher zurück, verließ das Kloster, trat aus der katholischen Kirche aus, zog von da an durchs Red River Valley und predigte das Evangelium des Herrn Jesus Christus. Ich versuche, mit ihr in Kontakt zu bleiben. Neulich sagte sie mir, Olson bekomme manchmal Stigmata.« Beim letzten Wort senkte sie die Stimme.
    »Du willst mich wohl verar… veräppeln, wie?«
    »Nein.«
    Lucas war kein gläubiger Katholik, spürte aber dennoch beim Gedanken an Stigmata eine leichte Gänsehaut über seinen Rücken kriechen. Bluten aus den Wundmalen Christi an den Händen, den Füßen, der Seite, selbst aus den Wunden der Dornenkrone … »Er hält sich also für Gott?«
    »O nein, keinesfalls«, sagte Elle. »Er empfindet sich als Verkünder, der den Weg bereitet.«
    »Also als eine Art Johannes der Täufer«, sagte Lucas.
    »Ich glaube nicht, dass er es so ausdrücken würde. Du verfällst wieder mal in deinen Cop-Sarkasmus, aber Tom Olson ist ein sehr ernster Mann.«
    »Er war heute bei uns im Department. Er trat sehr … heftig auf.«
    »Wo war er, als der Mord begangen wurde?«, fragte Elle.
    »In Fargo. Irgendwo da oben. So sagt er. Meinst du denn, er könnte es getan haben?«
    »Ich weiß nicht … Menschliche Heiligkeit ist, allgemein betrachtet, ein Mysterium, aber sie ist stets mit sehr starken emotionalen Strömungen verbunden, oft auch mit äußerst dunklen. Er könnte sehr starke Gefühle für seine Schwester entwickelt haben. Und bei seiner emotionalen Kondition könnte er entsprechend … gefühlsbetont reagieren.«
    »Das hat er heute getan, der Polizeichefin gegenüber.«
    Sie sprachen noch einige Minuten miteinander; Lucas berichtete ihr von den Einzelheiten des Verbrechens. Elle würde darüber nachdenken und ihn anrufen, wenn ihr etwas einfiel. Sie verabschiedeten sich, und Lucas ging zurück zu seinem Arbeitszimmer. Auf halbem Weg machte er kehrt, griff wieder zum Telefon und rief im Kloster an. Wieder meldete sich die melancholische junge Nonne, und wieder musste er zwei Minuten warten, bis Elle den Hörer aufnahm.
    »Sonst noch was?«
    »Erinnerst du dich daran, was du eben zu Anfang gesagt hast?«
    »Was meinst du? Ich habe mir einen Spaß mit dir erlaubt.«
    »Du hast gefragt: Was geht im Mordfall Alie’e Maison vor sich?«
    »Ja … Und?« Sie war verwirrt.
    »Keiner fragt jemals nach der anderen Frau. Sandy Lansing. Sie scheint für alle nur ein gebrauchtes Kleenextaschentuch zu sein, das man wegwirft.«
    »Mmm. Um ehrlich zu sein, ich habe tatsächlich nicht an sie gedacht«, gestand Elle.
    »Erinnere dich – beim letzten Mordfall hat man dich überfallen, niedergeschlagen und schwer verletzt … Und warum? Die Mörderin hat es getan, um mich von ihrer Spur abzulenken. Und es hat ja auch für einige Zeit funktioniert. Und jetzt sagt jeder nur Alie’e, Alie’e, Alie’e … Ich hoffe, wir sind nicht auf einen Zug aufgesprungen, der in die

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