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Nachtbrenner

Nachtbrenner

Titel: Nachtbrenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myra Çakan
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meinem Nacken habe.
    Aber fair bleibt fair, schließlich konnte ich ihm auch nicht klarmachen, was ich über eine Standardwoche im Hafenviertel von Schnappfischs Welt getrieben hatte, noch wo das abgegriffene Vibromesser hergekommen war, das in der Tasche meines zerfetzten Coveralls steckte, als er und Jonsy mich bewusstlos im Hinterhof von Hanjis Off-World-Souvenirladen fanden.
    Sieben Tage meines Lebens waren mir verlorengegangen, und irgendwie bin ich ganz froh darüber, denn manchmal ist es gesünder, nicht alles zu wissen.

Hinter der Biegung des Flusses...

    Den alten Überlieferungen folgend, hatte sich der Stamm während der großen Dürre nahe des ausgetrockneten Flussbettes angesiedelt. Nach Sonnenuntergang gruben die Männer Mulden in den Sand, dort, wo man die Feuchtigkeit noch erahnen konnte. In den frühen Morgenstunden wurde das Wasser in Tonkrügen gesammelt.
    Es war auch in der Zeit der großen Dürre, als sich die alte Geschichtenerzählerin zu ihren Ahnen versammelte. Und es war die Zeit der großen Veränderung.

    Amna liebte die glühendheißen Mittagsstunden, die schattenlosen Stunden mit ihren flirrenden Illusionen. Sie ging hinunter hinter die Biegung des Flusses, erklomm einen großen Stein und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf seinen höchsten Punkt. Der Sage nach soll dieser seltsam abgeflachte Stein in der Vorzeit Teil eines Hauses gewesen sein.
    Amna, als Enkelin und Nachfolgerin der alten Bewahrerin des Mana, kannte alle Erzählungen über die Vorzeit. Doch sie kannte auch die Last der Verantwortung, die dieses hohe Amt ihr auflud. Und als die Alte sich auf ihre letzte Reise begeben hatte, hinterließ sie ihr nicht nur Ehre, sondern auch eine große Verunsicherung.
    Der Stamm respektierte ihren Wunsch nach Zurückgezogenheit und hielt Abstand von ihr, noch. In wenigen Tagen war Vollmond, und der Rat der Ältesten würde zusammentreten und beraten. Würde sie ihnen von ihrer merkwürdigen Unruhe erzählen? Kaum. Amna seufzte. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, die wabernde Silhouette des Horizonts zu fixieren.
    Da waren sie wieder. In einer langen Prozession schritten sie hoheitsvoll und mit tänzelnder Grazie dahin. Hinunter zu dem langsam fließenden Fluss – verlockende Kühle. Senkten den edlen Kopf, um zu trinken.
    Ja, Amna liebte diese helle Tageszeit, sonnendurchdrungen und von beruhigender Unwirklichkeit. Und sie fürchtete die Nächte, dieses fahle blaue Unlicht. Es war die Farbe der immer gegenwärtigen Vergangenheit, dieses blau, elektrisch. Das Mal des verbotenen Wortes. Sie schauderte in der Hitze. Sie kannte sie alle, wirklich alle Geschichten und Worte. Die alte Bewahrerin hatte ihr ins Ohr geflüstert, was laut zu sagen tabu war. Amna bewegte lautlos die Lippen: »Genesis, Evolution, Zivilisation und Atom«.

    Vollmondzeit mit ihren harten Schatten und ihrer irrationalen Wirklichkeit. Der Stamm hatte sich um das symbolische Feuer versammelt, den zur Pyramidenform gestapelten Steinen.
    Weit draußen, in der einsamen Wüste, machten sich die Sammler mit müden, harten Füßen auf den Heimweg. Hoch erhoben trugen sie den heiligen Kaktus auf den Handflächen vor sich her.
    Amnas Schwester hatte vor zwei Mondwechseln ein »Es« geboren. Schwestermann wollte den heiligen Kaktus um Einsicht und Erkenntnis bitte. Er wusste, dass die Ältesten über die vielen »Es’e«, die die Frauen des Stammes zur Welt brachten, besorgt waren. Und mit einer Konsequenz, zu der nur die Frauen fähig waren, würden sie heute Nacht ihre Entscheidung treffen, ihr Urteil über ihn fällen.
    Mit einem atavistischen Schaudern der Furcht vor dem Unbekannten sah der Mann über die Schulter zurück. Zurück auf dieses fahle blaue Unlicht, das den Horizont begrenzte und die Nächte erleuchtete.
    Er spürte den Blick von Frauschwester, als er in den Kreis trat, wie eine Berührung auf seinem Gesicht, zärtlich und doch voller Bedauern.
    Er legte seine Last vor den alten Frauen auf den Boden, der noch die Vergänglichkeit eines Sonnentages abstrahlte. Schlug die Augen nieder vor ihrer Unbarmherzigkeit, der Offenbarung seiner Schande und Desillusion. Drehte sich mit hängenden Schultern um, wandte sich zum gehen. Ging in die Nacht, in das blaue, elektrische Leuchten. Fühlte die Einsamkeit, die schmerzte wie ein Schrei, der in den Ohren gellte, schriller und immer schriller.

    Amna schloss die Augen, doch sie konnte die Gestalt von Schwestermann immer noch sehen, wie er über den

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