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Nachtbrenner

Nachtbrenner

Titel: Nachtbrenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myra Çakan
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gut für ihn, aber er wollte ja nicht auf seine Freunde hören.«
    »Sag es ihr schon, Towarischtsch .« Andrej Andrejovich, er muss es gewesen sein, der mich fütterte und wusch, seine Augen sehen nicht so kalt aus wie die der anderen Astronauten, nur traurig.
    »Ihr Frauen, ihr wollt den Weltraum haben«, keine Antwort, eine Anklage, »aber für die Drecksarbeit, da braucht ihr uns.«
    »Das Versorgungsshuttle ist schon seit Wochen überfällig. Sie haben Kierin mit dem Raketenpack und zwei Schleppschlitten zu den anderen Stationen geschickt, Vorräte suchen. Er machte sechs Touren, dann begannen sie mit der Offensive –«
    Er stockt, unfähig, es auszusprechen. Ruhig, unbewegt, so, als hätte er die Worte zu oft gesagt, beendet der Deutsche den Satz: »Und er kam nicht mehr zurück.«
    »Lügen, alles nur Lügen.« Ich schreie und merke es nicht einmal. Ich schlage auf ihn ein, und er wehrt sich nicht. Sind wir denn alle schuldig?
    Niemand sucht mich, niemand vermisst mich. Die Lebenserhaltungssysteme der Station laufen auf Notbetrieb, sie brauchen alle Energie für die Särge. Das ist Wahnsinn, und sie hören einfach nicht auf. Mars den Marsianern – ich fange hemmungslos an zu lachen.
    Und ich? ich bin mitten drin in diesem psychedelischen Maschinentraum – auf der Suche nach einem Versteck laufe ich meinen Erinnerungen hinterher. Zwischen defekten Raumanzügen und leeren Sauerstofftanks liegt sein Coverall – Mission Mars.
    Er ist nie zu dieser letzten Tour aufgebrochen. Ich habe es gewusst, es hat keinen Unfall gegeben, nie hätte ihn der Weltraum umgebracht. Ich vergrabe mein Gesicht in dem weichen Futter, atme seinen Geruch ein, höre seine Stimme, die immer so tief und zärtlich klingt, wenn wir uns lieben. Dumme, taffe O’Shea, D., jetzt muss sie weinen. Soll das alles gewesen sein? Keine letzte Umarmung, kein Lebewohl, keine Nachricht? Keine Nachricht ...! Mit zitternden Fingern durchsuche ich alle Taschen. Eine flache Plastikkarte – ein Schlüssel: Station 3/Brücke.
    Ich weiß nicht, wie viel Stunden oder Tage vergingen, bis ich meine Ausrüstung zusammengestellt hatte. Bis vor Kurzem noch hatte ich geglaubt, dass man sich besser um seine eigenen Kram kümmert. Doch irgendwie war Kierin ein Teil von mir geworden mit seinem Wissensdurst und seinem Selbstvertrauen, und ich wollte die gleichen Antworten, die er auf der verlassenen Raumstation gesucht hatte, auch wenn ich noch nicht mal die Fragen kannte.
    Ich wollte die Station während der Hauptruheperiode verlassen. Irgendwo, im erdabgewandten Sektor, gab es eine stillgelegte Ladebucht, deren äußere Schleusen noch in Funktion waren. Kierin sprach einmal im Scherz davon, als ich ihn fragte, ob schon jemals einer der Zwangseingezogenen von der Station geflohen sei. Von dort musste er zu seinen verbotenen Ausflügen aufgebrochen sein. Warum hatte er nie davon gesprochen, warum hatte er mich nie mitgenommen? Selbst jetzt beneide ich ihn noch um die Selbstverständlichkeit, mit der er im Weltraum zu Hause war.

    Das Schott schloss sich automatisch hinter mir, jetzt war ich allein mit der Dunkelheit, den Sternen und meinen Ängsten. Wie hatte ich jemals glauben können, im Weltraum zu überleben? Hier gab es nicht einmal Schatten, die ich für meine Furcht verantwortlich machen konnte. Sicher, sie haben diese Tests gemacht – es stimmt vermutlich, dass Frauen besser für Langzeitflüge geeignet sind, besser mit Stress umgehen können und ausdauernder sind. Trotzdem, warum haben die Astronauten nie von der Angst gesprochen?
    Ich höre nur ein Geräusch: das Rauschen des Blutes in meinen Ohren. Niemand ist da, niemand holt mich mit einer Schleppleine rein, wenn ich versage. Panik schwappt am Rand meines Bewusstseins wie eine saugende, tödliche Flut. Ich beiße mir auf die Lippen, bekämpfe die große Welle mit meinem Blut und Schmerz.
    Ich stoße mich von dem äußeren Ring ab und trudle ungeschickt, ohne Körperkontrolle davon. Die Station bleibt zurück, und nach einer Weile zünde ich das Raketenpack. Und ich bin nur noch ein Stern unter vielen, bis das große Rad von Station 3 vor mir am Horizont erscheint. Die aufgehende Sonne schneidet scharfe Schatten in die Ladedocks und Luftschleusen. Die Außenhaut scheint unbeschädigt. Die rot-weiß-blaue Flagge und das NASA-Logo verschwinden fast neben dem Mars-1-Signet, jemand hat daneben Mars – unsere Reise hat begonnen und Der Traum ist immer noch lebendig geschrieben. Ich blinzle Tränen aus den

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