Nachtbrenner
Augen; plötzlich fühle ich, auch ich gehöre irgendwie dazu.
Die Hauptschleuse lässt sich manuell öffnen, für einen kurzen Augenblick überfällt mich wieder Panik, ich höre das Schließen des Schotts, bin in Finsternis gefangen, dann schaltet sich die Notbeleuchtung ein, der Druck erhöht sich, und ich betrete Station 3.
Ich schnalle das Raketenpack ab und klappe den Helm zurück, die Luft in den Gängen schmeckt wie überall, wo Menschen im Weltraum sind – abgestanden, nach Metall und Schweiß. Hatte ich erwartet, Spuren von Kierin zu finden – ich weiß es nicht. Ich stoße mich von den Wänden ab und suche nach den Abdrücken seiner Hände. Im gleichen Tempo wie ich durch die engen Gänge tiefer in die Station eindringe, schalten sich die Lebenserhaltungssysteme und die Beleuchtung ein. Fast glaube ich, Stimmen zu hören, die Crew beim Schichtwechsel. Hier gibt es zu viele Geister. War das der Grund für Kierins Ausflug – der Wunsch nach einer Begegnung mit seiner Vergangenheit? Nein, er war nicht diese Art von Romantiker. Er wollte Antworten. Warum wurde soviel Material vergeudet, warum wurden all die anderen Stationen aufgeben?
Da sind die Stimmen wieder – nein es ist eine Stimme. Können Erinnerungen sprechen? Kierin! Er ist immer noch hier. Ich stürze auf den Klang zu, schlage gegen Wände und Stützpfeiler, ohne den Schmerz zu bemerken.
Die Brücke. Ein Funkgerät in der Steuersektion, die Statik überlädt die Stimme, sie gehört einer Frau. Sie klingt uralt und jung zugleich. Willenskraft und Resignation schwingt in ihren immer gleichen Sätzen mit: Mission Control – hier Basislager Mars 1 – Erde, warum meldet ihr euch nicht?
War das das unaussprechbare Geheimnis – ist das die Antwort? Für Kierin muss es schlimm gewesen sein. Er, der an ihr System geglaubt, sein ganzes Leben darauf ausgerichtet hatte, entdeckte die Große Lüge.
Nein, so einfach war es nicht. Sie waren bereit, zu betrügen, zu manipulieren und zu morden, damit der Mythos gewahrt bliebe, da musste noch mehr dahinterstecken, viel mehr. Wenn es nie einen Überfall auf die Mars-Crew gegeben hatte, wieso führte die Erde dann Krieg mit Außerirdischen – und wer waren dann die Blauköpfe? Ich bin sicher, Kierin musste auch auf diese Fragen die Antwort gewusst haben.
Stunden später fand ich die erdzugewandte Aussichtsplattform, und hier war ein Zeichen von ihm – Commander Kierin Young – Mission Mars – USA 2010. Mechanisch hob ich den bunten Stofffetzen auf und hielt ihn fest umklammert, wie einen Talisman.
So hatte ich mir den Mars vorgestellt – die Offensive, unsere Rache, unseren Sieg. Doch über mir glitt die Erde in den Morgen. Nebel lag über den Ländern des Heiligen-Staaten-Bundes, schwarzer Nebel. Ich kannte diese Bilder aus alten Geschichtsaufzeichnungen – es war der Rauch brennender Ölfelder. Glühwürmchen stiegen von der Nachseite auf, bohrten sich in die Schwärze. Sternschnuppen stießen durch die Atmosphäre. Glühwürmchen, gezündet in einer anderen Welt. Oh, ja, wir waren gut, wir waren lebende Kampfmaschinen, und vielleicht würden wir die Blauköpfe besiegen. Aber als die Nachtschatten über den Planeten wanderten, schoss ein Schwarm zorniger Feuerfliegen aus dem zerstörten Land, flog weit und zielsicher, brannte seine tödliche Spur in die Dunkelheit, in den Weltraum.
Seit Tagen höre ich ihren Stimmen zu – Irina Yermakow: Captain, Leigh Santini: Navigator, Chen Yu: Wissenschaftsoffizier, Sabrina L. Meyer: Arzt und Ana O’Dell: Techniker.
Inzwischen kenne ich euch alle, seid ihr meine Freunde geworden. Ich habe jetzt alle Zeit der Welt, um euch zuzuhören, denn niemand sonst kann es, und ich wünsche so sehr, ich könnte mit euch reden. Ihr seid so besonders. All die Jahre der Isolation, und ihr habt immer noch Hoffnung. Bitte, seid meine Idole, mein Leitstern.
Die Druckwelle der Explosionen, die die bemannten Stationen zerstörte, warf Station 3 aus dem Orbit. Ich bin in Sicherheit, doch wo kann es Sicherheit geben, wenn rundherum nur das Nichts ist?
Gestern, ich glaube es war gestern – seltsam, ich denke immer noch in Begriffen wie gestern und morgen, Tag und Nacht, dabei haben diese Worte längst ihre Bedeutung verloren – habe ich dein Foto gefunden, du musst Leigh Santini sein. In deinem Gesicht, deinen Augen ist etwas, was mich an mich selbst erinnert. Dir werde ich meine Geschichte erzählen, du wirst wissen, wovon ich rede, du hast die gleiche Sehnsucht, den
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