Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
danach ist mir jetzt. Schwarze Wände, schwarze Kerzen, schwere Samtvorhänge, die jedes ach so kleine Licht augenblicklich ersticken. Der schwere Duft von Räucherwerk und orientalischen Gewürzen hängt in der Luft und benebelt jeden Sinn. Ein viktorianisches Bett mit burgunderfarbener Wäsche, die je nach Kerzenschein heller oder dunkler wirkt.
Darin ein … Spielzeug . Männlein oder Weiblein ist mir dabei gerade völlig egal. Einfach nur ein Spielzeug, ohne Namen, außer wenn ich ihm einen gebe. Ohne Geschichte, ohne Probleme und ohne das Bedürfnis, mich mit seinem Banalitäten zu belästigen oder mit seinen verschrobenen Vorstellungen von Intimität und Befriedigung. Das kann ja wohl nicht zu viel verlangt sein, oder?
Ich schließe die Augen und kann es beinahe riechen und ein sehnsüchtiges Seufzen entringt sich mir, das sich auf halbem Wege in ein aufgebrachtes Knurren verwandelt. Mein Geist geht sonderbare Wege und der Drang nach künstlerischem Schaffen wird beinahe übermächtig. Plötzlich ist mein schwarzes Gemach erfüllt von dem leisen Summen einer erstklassigen Tatöwiermaschine und auf dem Körper meines Spielzeugs entstehen unaufhaltsam Bilder, die sein Seelenleben so detailliert widerspiegeln, als hätte man den dünnen Schleier zwischen Geist und Körper weggewischt.
Ich gebe zu, dass dies nicht viel mit dem äußeren Dialog zu tun hat, nach dem sich mein Geist ebenso sehnt. Nichts mit der bloßen Eleganz der Vorstellung – dem Spiel der Worte, welches beinahe ebenso befriedigend wie die Tat selbst ist. Aber eben nur beinahe. Die damit verbundene Verheißung von Glut, bis hin zu einem allumfassenden Feuer, entfacht ein diffuses Gefühl, das zwar in seiner Endgültigkeit Schmerz zu Lust verbinden kann, dennoch stets eine ungestillte Sehnsucht zurücklässt. Ein Warten auf etwas, das noch kommt, wir müssen nur fest daran glauben.
Doch all diese Dinge scheinen dem Großteil meiner neuen „Bekannten“ verschlossen zu sein. Es sind keine großen Geister, die erkennen, dass zwischen Subtilität und Suppe ein feiner, aber klarer Unterschied liegt. Und ich meine nicht das Auswechseln eines Konsonanten. Leise knurrend balle ich die Hände zu Fäusten, was meine künstlichen Fingernägel splittern lässt. Ein Geräusch, als würden Knochen aufbrechen.
Ich kann sie noch nicht einmal als naiv ahnungslos betiteln, denn das sind sie einfach nicht. Natürlich sollte das nicht mein Problem sein, aber hier, gefangen auf diesem … Kahn, nein, diesem … Seelenverkäufer … kann es ganz schnell zu einem Problem ausarten. Was aber nicht heißt, dass ich gewillt bin, dieses Spiel zu spielen, schon gar nicht nach ihren Regeln!
Mir diesen Entschluss erneut vor Augen führend, taste ich nach der Fernbedienung der Musikanlage und wenig später ertönt ein ordentliches Gitarrenriff aus den Lautsprechern. Dazu Axl Roses charakteristische Stimme: „Take me down to the paradise city, where the grass is green and the girls are pretty. Oh won't you please take me home …”
Langsam nehme ich die Stimmung des Liedes in mich auf und beschließe, dass sie es einfach nicht wert sind, mir den ganzen Rest der Reise über sie Gedanken zu machen.
Im Grunde meines Herzens bin ich friedlich … na gut, sagen wir … großmütig. Ein finsteres Lächeln umspielt dabei meine feinen Lippen. Wenn man aber mit der brachialen Gewalt eines Vorschlaghammers zu Werke geht und die fragilen Wände der eigentlichen Zitadelle einreißt, dann muss man sich nicht wundern, wenn darunter eine Grabkammer der Altvorderen zum Vorschein kommt, bewohnt von einer Bestie – und diese Bestie bin ich.
Mit dieser Gewissheit schwinge ich mich aus dem Bett und betrachte die Reste meiner Fingernägel. Zum Glück habe ich ja noch einen Termin im Spa bekommen, da kann das sicher gleich mit behoben werden. Kurzentschlossen knibbele ich den Rest von meinen Nägeln und werfe sie weg. Leider bekomme ich die Reste des Klebers nicht herunter, so dass sich unansehnliche Flecken bilden, aber das ist ja nur vorübergehend.
Das grüne Kleid in seinem Kleidersack aus dem Schrank holend, werfe ich kurz einen Blick auf den Strauß Rosen, der nach wie vor meinen Tisch ziert, und überlege, was heute Abend noch zu tun ist. Wäre ich nicht hier, würde ich meine Terminanfragen für den Abend und die nächsten Tage prüfen. Es gibt keinen Grund, dies nicht zu tun, und so fahre ich den Laptop hoch. Gut gelaunt schicke ich per E-Mail Silvestergrüße an Bekannte
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