Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
Gekicher von Antonia und Loren. Ein Gutes hatte die Sache, denn da Ben so mit der Geschichte beschäftigt war, ließ er die Hände von mir. Aus den Augenwinkeln entdeckte ich die Fröhlichs nebst ihrem Nachwuchs. Erstere winkten freundlich, während Letztere sich beeilten zu ihren Plätzen zu kommen. Alex und Fay amüsierten sich ebenfalls köstlich, wobei Fay ein wenig Farbe ins Gesicht bekam und sich bis Mitternacht dann doch noch ganz gut hielt.
Eigentlich ist der Jahreswechsel eine ganz banale Angelegenheit. Toll, ein weiteres Jahr ist herum, und dann? Ein neues Jahr, neue Vorsätze, neue Möglichkeiten, sich selbst unerfüllbare Ziele zu setzen. Früher mochte ich Silvester, aber heute? Momentan ist es nur eine Party mehr, die ich abhake. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.
Ich habe einfach … keine Lust auf Party? Das wäre so gesehen etwas Neues, denn eigentlich sind wir hier ja auf einer Vergnügungsfahrt.
Aber irgendwie … wird mir das alles zu viel. Die vielen Menschen, keine Möglichkeit mich zurückzuziehen, die Beengtheit der eigentlich riesigen Kabine. Bens Verhalten, Alex’ plötzlicher Sinneswandel, Christopher und Melody … Am besten ich höre auf, bevor ich mich noch für die letzten Tage in meiner Kabine einschließe.
An all das denke ich, während ich Ben dabei beobachte, wie er ausgelassen eine Smokingjacke über seinem Kopf wirbelt, die definitiv nicht die Seine ist. Inbrünstig fällt er in die aufflackernden Gesänge der Umstehenden mit ein. „O say can you see, by the dawn's early light ...“
Obwohl wir unter englischer Flagge fahren, setzt sich die Nationalhymne meines Heimatlandes gegen die vieler anderer durch. Das mag zum einen an den vielen Stimmen liegen, die sie angestimmt haben, zum anderen in der Natur der Dinge, denn Bens Fröhlichkeit hat eine bunte Menge meiner Landsmänner und -frauen angezogen. Ich kann immer nur hoffen, dass keiner von der ausgelassenen Menge in den nur leicht abgedeckten Pool stürzt, obwohl das Wasser ja beheizt sein soll. Aber bei dieser Kälte würde sich jeder eine ordentliche Erkältung holen.
Das Spektakel an Deck dauert noch an und ich geselle mich zu Alex, Fay und Sharroll. Letztere hat ganz rosige Bäckchen und ist auch sonst ungewöhnlich aufgekratzt. Wo ist eigentlich ihre Sektflasche geblieben? Unten im Saal, unter Alex’ Aufsicht, hat sie nur mäßig dem Alkohol zugesprochen, obwohl sie die Mitglieder der Clique immer wieder dazu ermutigt haben, ihre Grenzen auszutesten.
Dieser vergleichsweise „gesittete“ Punkt des Abends ist nun abgeschlossen, denn die Clique und ihr Anhang wollen ins G32 umziehen und von dort aus dann in Bens Privatgemächer. Kurzerhand ist er dazu übergegangen alle, die ihm ausgelassen zuprosten, mit in seine Kabine einzuladen.
Fay stöhnt, denn sie fürchtet um ihre Nachtruhe, die sie nun wahrlich bitter nötig hat.
Alex hat sich kurzerhand bei ihr einquartiert. Zum einen, um für sie zu sorgen, sollte es ihr schlechter gehen. Zum anderen, um selbst zur Ruhe zu kommen. „Ich möchte einfach nicht in einem Haufen nackter Arme und Beine aufwachen“, erklärt er schlicht.
Ben nennt ihn einen Feigling und einen Spielverderber, aber das stört Alex wenig.
Ich kann diesem Gedanken aber auch wenig abgewinnen und erwidere nur schwach Bens kleines Lächeln, mit dem er mich bedenkt, als das Feuerwerk über dem Hauptdeck gezündet wird und die See in helle Lichtblitze taucht.
Fay drängt sich in diesem Moment fester an Alex und er legt beschützend den Arm um sie.
Ben winkt mich zu sich und für einen Moment bin ich umringt von tobenden, feiernden Körpern, die sich eng aneinanderschmiegen und die Stunde genießen.
Was Alex kann, kann ich schon lange, auch wenn Ben wirklich nicht meine erste Wahl ist.
Er zieht mich an sich. „Hast du Lust zu feiern?“, fragte er mit erstaunlich fester Stimme.
„ Immer“, gebe ich zurück und lasse mich für circa zwei Sekunden von der ausgelassenen Stimmung anstecken. Wild küsst er mich und ich sehe keinen Grund, dies nicht zu erwidern. Fay kuschelt ja auch mit Alex.
„ Wollen wir zwei nicht schon mal schnell verschwinden?“, zischt er mir zu und ich gebe zurück: „Aber deine Gäste, Ben. Du hast sie alle eingeladen und nun sollen sie ohne dich feiern?“
Er sieht sich um. „Die kommen auch einen Moment ohne mich aus.“
Einen Augenblick überlege ich, doch dann überkommt mich die Gesamtstimmung und ich gebe nach. Er strahlt mich an und reibt
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