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Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myrna E. Murray
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Mundwinkel zucken, wie zu einem breiten Grinsen. „Also stimmen Sie mir zu?“
    Ich wiege leicht den Kopf, als wenn ich seine Antworten tatsächlich noch beurteilen müsste. „In gewisser Hinsicht stimme ich zu, in anderer widerspreche ich jedoch.“
    „ Eine interessant diplomatische Antwort. Sind Sie geschult in so etwas?“
    Jetzt bin ich auf der Hut. In Sekundenbruchteilen verzieht sich mein Gesicht in einen Ausdruck absoluten Unverstehens. „Wieso?“
    Er zuckt mit den Schultern. „Wie schon gesagt, Sie geben mir Rätsel auf.“
    „ Sie hatten noch nicht die Freundlichkeit mir zu erklären, wie Sie das meinen“, gebe ich zurück, nun doch ein wenig genervt. Auf diesen Eiertanz war ich nicht vorbereitet gewesen und irgendwie scheine ich aus der Übung.
     
    Er geht weiter und beinahe haben wir den oberen Absatz der Treppe erreicht. „Sehen Sie, es ist so: Gestern Nacht haben Sie einem jungen Mädchen das Leben gerettet, jedoch zu Protokoll gegeben, dass Sie vorher nicht gewusst haben, wo sich eben jenes Mädchen befindet.“
    „ Ja, das ist richtig.“ In Gedanken gehe ich meine Zeugenaussage noch einmal durch und überprüfe sie auf Fehler. Obwohl ich bis eben felsenfest davon überzeugt war, keine gemacht zu haben, beschleicht mich jetzt doch das leise Gefühl, dass ich etwas übersehen oder in der Müdigkeit widersprüchlich angegeben habe.
    „ Sehen Sie, und genau das irritiert mich. Ebenso wie noch einige andere Dinge. Immerhin habe ich Sie beide erst vorgestern in trauter Gemeinsamkeit im Wintergarden Café erlebt.“
    Es reicht. Vorsichtig sende ich meinen Geist aus und pralle an einer unvorhergesehenen Barriere seines Geistes ab. Was ist das denn? In dem Moment, in dem ich überlege meine Anstrengungen zu verdoppeln, flammt ungeahnt Hunger in mir auf.
    Verdammt, die letzte Nacht und auch die ständigen Störungen über den Tag haben mich anscheinend mehr Kraft gekostet, als ich vermutet hatte. Überhaupt scheine ich das Gespür für meine Reserven verloren zu haben. Warum das so ist, habe ich immer noch nicht herausgefunden. Die Probleme beginnen sich zu häufen.
    „ Sie meinen also, dass meine Aussage nicht der Wahrheit entspricht?“, schlussfolgere ich, mehr um mich abzulenken, und ziehe so seine Aufmerksamkeit wieder auf mich.
    „ Ich meine nicht, Miss. Ich stelle nur Fragen – und manchmal passen die Antworten nicht zu den Fakten.“ Wieder bleibt er stehen. „Und dann beginne ich mich zu fragen, warum das so ist.“
    Wir haben Deck 3 erreicht und für einen Moment wirft er einen Blick durch den vor uns liegenden Gang und die Schaufenster der Geschäfte, welche das obere Rondell umgeben. Ich nutze den Moment, um in mich hineinzuhorchen und einen spontanen Fluchtplan zu entwickeln. Genauso schnell verwerfe ich ihn wieder. Wie er bereits sagte: Es ist sein Schiff.
     
    Symbolisch fasse ich mir an die Nasenwurzel und beginne sie mit kleinen, kreisenden Bewegungen zu massieren. Interessiert sieht er mir dabei zu. Also beschließe ich die Flucht nach vorne. „Hören Sie. Ich bin müde, denn ich konnte nicht durchschlafen.“ Entschlossen fixiere ich ihn nun meinerseits. „Lassen Sie uns doch die Förmlichkeiten beiseitelegen und Sie fragen mich endlich, was Sie von mir wissen wollen. In Ordnung?“
    Er grinst. „Sehen Sie, genau das meine ich. Wären Sie die sprichwörtliche graue Maus, die Sie mit diesem Kostüm darzustellen versuchen, dann hätten Sie niemals in dieser Art mit mir gesprochen.“ Genervt verdrehe ich die Augen. „Nein, Miss Ashton. Sie sind mehr als Sie vorgeben, und ich bin interessiert zu erfahren, wie dieses Mehr aussieht.“
    „ Aha.“ Zu mehr sehe ich mich gerade wirklich nicht genötigt.
    „ Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen mitteile, dass ich Lord Benjamin in Gewahrsam genommen habe?“
    Die Antwort darauf fällt mir nicht schwer. „Dass Sie ihn da so lange behalten können wie Sie möchten.“
    Er lächelt wieder. „Sehen Sie. Das war eine ehrliche Antwort und wieder passt sie nicht zu Ihrem Erscheinungsbild.“ Ist ja gut – ich hab’s kapiert. „Wollen Sie so bleiben, während wir unser kleines Gespräch fortführen, oder möchten Sie sich etwas anziehen, das mehr Ihrem Wesen entspricht?“
    Meinem Wesen? – Na klar, dann hätte ich jetzt gerne ein schwarzes Samtkleid mit einem tiefen Ausschnitt und bodenlangen Fledermausärmeln. Dazu ein rotes Korsett, das die Wespentaille über dem ausgestellten Glockenrock betont und meine grazile

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