Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
Zerbrechlichkeit unterstreicht. Alternativ nehme ich aber auch das weiße, etwas angegilbte Leichenhemd. Aber das hat er sicher nicht gemeint.
„ Wie meinen?“
„ Ich meine, dass ich die Erfahrung gemacht habe, Menschen sehr gut einschätzen zu können, und dass sie sich im Allgemeinen in Garderobe wohler fühlen, die ihnen vertraut ist. Also, was meinen Sie?“
Seufzend gebe ich nach. Dies ist nicht die Nacht für Kompromisse. „Wann und wo treffen wir uns wieder?“
Er lächelt. „Ich würde sagen, in einer halben Stunde am Ort des Geschehens? Reicht Ihnen das?“
Siegessicher grinse ich ihn an. „In einer halben Stunde kann ich meine gesamte Toilette erledigen und danach wie ein Filmstar zur Oscarverleihung aussehen.“
„ Das klingt vielversprechend.“ Er verabschiedet sich mit einem leichten Kopfnicken. „Ich erwarte Sie auf Deck 12.“
33. Freunde unter sich
Pünktlich wie die Maurer stehe ich etwa eine halbe Stunde später im schwarzen Overall mit locker darüber getragener Armeejacke vor dem Eingang zu den Poolanlagen auf Deck 12. Auch meine flachen Schuhe habe ich gegen Stiefeletten mit höheren Absätzen getauscht und das dezente Make-up gegen mein normales ersetzt.
Okay, er hatte recht. Ich fühle mich tatsächlich besser und hoffe nun, diesen Punkt auf meiner Tagesordnungsliste abzuhaken. Es ist ja nicht so, dass ich nicht noch andere Dinge zu tun hätte – zum Beispiel ein sprichwörtliches Hühnchen mit Alex zu rupfen, den ich bisher nicht erreicht habe. Soviel zum Thema „Erreichbarkeit“.
Dessen ungeachtet habe ich den Stapel Papier zuunterst in meinem Schrankkoffer verstaut und dann eine Nachricht von Cindy auf meinem Tisch gefunden. Darin bittet sie mich um ein Treffen direkt nach ihrem Dienstende, auf Deck 8. Sie wird das Spa durch eine Tür der oberen Räume der Anlage verlassen und dort auf mich warten. Gleich gegenüber der Bibliothek.
Ich hinterlasse ihr ebenfalls kurz eine Nachricht, dass ich dort sein werde, die Uhrzeit aber noch nicht genau sagen kann. Sie möge dort einfach auf mich warten.
Die Dame am Telefon ist anfangs irritiert, verspricht mir aber es auszurichten, und ich bin unterwegs zu Deck 12.
Auf halbem Weg kommt mir der Gedanke, dass dieser letzte Kontakt auch nach einem zusätzlichen Termin geschäftlicher Natur aussehen kann und hoffe, dass sie dafür nicht Rede und Antwort stehen muss. Dürfen Gäste sich mit Crewmitgliedern verabreden oder andersherum? Egal – notfalls nutze ich meinen neuen Lieblingskontakt, Mr. Morgan. Ein weiterer Gedanke kommt mir, und ich muss unwillkürlich grinsen. Ob man als Crewmitglied auf diesem Schiff wohl Kilometergeld bekommt? Still vergnügt verwerfe ich den Gedanken dann aber mit einem Grinsen.
Die Tür zum Pool ist nicht nur abgeschlossen, sie ist nun zusätzlich mit einem Bügelschloss gesichert. Mann, Mann, Mann. Was für ein Aufwand. Als ich mich umsehe, erkenne ich Mr. Morgan, der auf mich zusteuert. Im Schlepptau hat er Loren, Desmond, Ben und Alex. Letzterem scheint die Situation sehr unangenehm zu sein. Ich mustere die drei genauer. Dass Ben als Verursacher hier ist und Desmond als direkter Verwandter, kann ich gut nachvollziehen. Alex scheint sich nicht entscheiden zu können, zu welcher Partei er gehört. Unsere Blicke treffen sich kurz, und hui!, da sind sie: Milliarden von Schmetterlingen in meinen Eingeweiden.
In dem Moment, in dem mir dies aufgeht, fällt mir auch wieder ein, dass er sich als Rechtsbeistand für Sharroll zur Verfügung gestellt hat, gegen Ben. Damit wäre seine Anwesenheit also geklärt. Aber was macht Loren denn hier? Bens Worte fallen mir ein: „Sie haben sie abgefüllt und ihr die Dinger eingetrichtert wie Smarties.“ Oder so ähnlich. Vielleicht will sich Loren ja zu diesem Teil bekennen?
Ein näherer Blick hinter ihre Stirn lässt mich jedoch beinahe auflachen. Oh nein – sie will nichts von alledem tun, was ich ihr als vernunftbegabtem Menschen zugestanden hätte. Sie will Ben beschützen und zwar vor mir! Ist das zu fassen? Beinahe bin ich geschmeichelt, aber nur beinahe – armes Schätzchen!
Als sie mich erreichen, mustert Mr. Morgan mich mit einem Lächeln. „Ah, Miss Ashton, Sie enttäuschen mich nicht. Schwarz, die Farbe der Könige.“ Er sagt dies ohne einen Anflug von Hintergedanken und nickt mir anerkennend zu. Die Farbe der Könige? War das nicht Purpur und später Blau? Egal!
Ben, von elementaren Kräften nach vorne gezogen, schenkt mir
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