Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
aber nicht weit. Wilde Panik ergreift mich, da sich das Kreuz nicht wirklich aus meinem unmittelbaren Umfeld bewegt hat. Entschlossen reiße ich mich los und hechte davon.
51. Jäger und Gejagte
Blind vor Panik pflüge ich durch die Menge, die Treppe zum Deck 3 hinauf und raus aus dem Nachtclub. Hinter mir erschallen entsetzte und erstaunte Rufe gleichzeitig – und so etwas wie Beifall? Auch hat die Musik nicht aufgehört. Bevor ich mich weiter darüber wundern oder einen anderen klaren Gedanken fassen kann, spüre ich meine Verfolger. Also doch! Es ist wie damals, als die Jäger hinter mir her waren.
Mit brachialer Gewalt kehrt die Erinnerung an jene schreckliche Begegnung zurück und verleiht mir zusätzliche Kräfte:
Im Frühling 2002 hatte ich das Gefühl beobachtet und verfolgt zu werden. Anfangs ignorierte ich es und redete mir ein, eine neue Marotte zu entwickeln, doch als ich eines Nachts nicht weit entfernt von unserem Unterschlupf in Toronto einen schwarzen Van entdeckte, verschlug es mir fast die Sprache. Woher kannte ich dieses Auto? Ich bewegte mich neugierig und dennoch vorsichtig darauf zu. Oh ja, ich kannte diesen Wagen. Er gehörte „Hunter“. Vor Schreck blieb ich stehen und starrte den Wagen einfach nur an. Es konnte doch nicht sein! Wie hatte er mich gefunden?
Ein Räuspern hinter mir ließ mich herumfahren. Dort stand er; wenn auch deutlich älter als vor 20 Jahren. Er starrte mich an, denn ich hätte mittlerweile fast 50 Jahre alt sein müssen. Er sog die Luft scharf ein und sah mich ungläubig an. Dann sagte er in seiner mir nur allzu bekannten Stimme: „Sieh an, sieh an. Da dachte ich, ich hätte deine Spur in den 80er-Jahren verloren, aber wenn das aus dir geworden ist, dann ist es ja kein Wunder, dass du mir entwischt bist. Nicht wahr, Justice‘, oder sollte ich besser sagen Christina.“
Ich erschauerte. Wie lange hatte ich diesen Namen nicht mehr gehört? Er sorgte dafür, dass ich mich wieder wie das kleine Mädchen fühlte, das ich einst gewesen war. Er kam auf mich zu und lächelte ein gemeines Lächeln. „Du hast dich doch bestimmt immer gefragt, was ein Großwildjäger in den USA jagt. Nun, ich will es dir sagen. Solche wie dich und deinesgleichen jage und töte ich. Doch bei dir werde ich eine Ausnahme machen, denn dein Vater will sicherlich wissen, was aus seinem kleinen Täubchen geworden ist.“
Ich erstarrte. Mein Vater lebte noch? Bilder aus Kindertagen stiegen in mir auf, wie er mich auf die Knie gezwungen und in der Schule bloßgestellt hatte. Aber am deutlichsten war mir sein Gesicht in Erinnerung, wenn er über das ausgesprochene Böse sprach, welches die Welt bedrohte. Es hatte damals schon vor Fanatismus geglüht. Wie würde es jetzt aussehen? Hunter kam auf mich zu und ich wich zurück. Alte Angst war in mir hochgekrochen und hinderte mich am klaren Denken. Ich war wieder sechs Jahre alt und er der böse Schwarze Mann.
Er drängte mich in eine gemauerte Einfahrt hinein und ein anderes Bild schob sich in mein Gedächtnis. Ein anderer Mann, ein anderer Raum. Die beiden Bilder zerflossen ineinander, als ich die gemauerte Wand im Rücken spürte. Hunter hatte, während er mich vor sich her trieb, ein kleines Kreuz hervorgeholt und mir entgegengehalten. Ich überschlug mich fast vor Angst und Abscheu, es gab aber nur den einen Ausweg: an Hunter vorbei in die Freiheit zu kommen.
Meine Nackenhaare richteten sich auf und ich gab ein leises bedrohliches Knurren von mir. Langsam senkte ich den Kopf. Blut und Adrenalin schossen durch meinen Körper und schalteten systematisch alle Sicherungen aus. Wieder verengte sich mein Sichtfeld und ich spürte, wie ich meine Ausstrahlung einsetzte, um ihn zu vertreiben. Ich hatte dies noch nie zuvor getan und hoffte, es würde funktionieren.
Alle meine Sinne konzentrierten sich auf Hunter und die von ihm ausgehende Gefahr vor mir. Ich wartete, lauerte, bereit zuzuschlagen. In meinen Händen zuckte es und ich merkte, wie mein Denken von etwas anderem ausgeschaltet wurde. Etwas Altem, Wartendem. Ich stieß ein Fauchen aus und er wich zurück, nur einen verdammten Schritt; dann lachte er auf und ich bekam etwas in die Hände; etwas Hartes, Schweres .
Hunter griff an und ich wehrte mich verbissen. Doch er war gut. Ein gut trainierter Kämpfer und um Längen erfahrener als ich. Seine Beweglichkeit strafte sein Alter Lügen. Meine Instinkte bestimmten mein Handeln. Ich war kein ernstzunehmender Gegner für ihn,
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