Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
erkenne ich eine junge Frau. „Sie wird sich um Ihre Maniküre kümmern.“ Eine warme Hand ergreift die meine und nimmt sie in Beschlag. Für einen kurzen Moment überlege ich mir ihr zu sagen, dass dies vergebene Liebesmüh sein könnte. Schließlich werden meine Hände morgen Nacht genauso sein wie sie heute beim Erwachen waren. Zwar nicht zwingend manikürt, aber doch gepflegt genug.
„ Sie haben wunderbar stabile Nägel, Miss“, höre ich Cindy sagen, während sie ihnen mit Nagelbürste, Polierstein und anderen Kleinigkeiten zu Leibe rückt.
„ Danke“, erwidere ich.
„ Auch Ihre Hände sind sehr gepflegt.“ Nun ja, ja ich bin offen für Komplimente. „Darf ich fragen, was Sie von Beruf sind?“, fährt sie fort.
„ Tätowiererin“, entgegne ich und nehme amüsiert sowohl das kurze Zögern an meinen Händen als auch in meinem Gesicht wahr.
„ Das ist bestimmt ein … interessanter Beruf.“
„ Ja, das ist es. Man lernt die Menschen von einer ganz anderen Seite kennen.“ Mein Plauderton scheint beide Frauen wohl an ihre Professionalität zu gemahnen und sie fahren fort.
„ Wie kommt man denn dazu?“, erkundigt sich Cindy tapfer.
„ Ach, das hat sich so ergeben. Man muss einfach die richtigen Leute kennen und darf sich nicht vor Neuem verschließen. Würzt man das Ganze mit einer kleinen Prise künstlerischen Talents, dann ist der Rest reine Formsache.“
„ Aha“, Cindy arbeitet schweigend weiter, während Stück für Stück mein Gesicht freigelegt wird. Die Haut fühlt sich merkwürdig an.
„ Darf ich Ihnen eine indiskrete Frage stellen?“
Ich versuche ein Grinsen. „Sie meinen, warum ich selber nicht tätowiert bin?“
Cindy nickt.
„ Das ist ganz einfach, ich konnte mich noch für kein Motiv entscheiden.“ Das entspricht zwar der Wahrheit, trotzdem wäre jeder Versuch völlig zwecklos. Es würde maximal eine Nacht halten und wäre dann wieder verschwunden. Wozu also die Liebesmüh?
„ Eine Zeit lang habe ich es mit Bodypainting versucht“, fahre ich fort, „aber auch das hat noch nicht zu dem für mich perfekten Ergebnis geführt.“
„ Ich verstehe.“ Meine eine Hand scheint fertig, denn sie wechselt zu der anderen. „Macht das die Leute nicht skeptisch? Ich könnte mir vorstellen, dass sie sich lieber von einem Künstler tätowieren lassen würden, der selber Tattoos trägt.“
„ Da haben Sie nicht ganz unrecht.“
„ Haben Sie denn trotzdem genug Aufträge?“
Ich lächele. „Mehr als genug. Die Menschen kommen wegen meines Rufs als Künstlerin zu mir, nicht wegen meiner nackten Haut. Ich arbeite auch nicht fest in einem bestimmten Studio.“
Sie sieht mich verdutzt an.
„ Ich vergebe Termine ausschließlich auf Empfehlung befreundeter Künstler und beteilige diese an meinem Umsatz.“
Nun ist sie erstaunt. „Und das funktioniert?“
„ Für mich schon. Meine Werke sprechen für sich und bisher war noch jeder Kunde äußerst zufrieden.“ Mein Gesicht ist nun fast frei von den Resten der Maske.
„ Was glauben Sie, woran das liegt?“
Ich öffne die Augen und sehe Cindy an. „Hauptsächlich wohl daran, dass ich keine kitschigen Kleinarbeiten mache. Keine Würfel, keine osteuropäischen Schriftzeichen oder nackten Frauen im Marilyn Monroe-Stil.“
Sie poliert nachdenklich an meinen Fingernägeln und ich überlege kurz, was diese Hände nicht schon alles berührt haben. „Was stechen Sie denn an Motiven?“
Irre ich mich, oder ist sie tatsächlich interessiert?
Ohne falsche Bescheidenheit antworte ich: „Einzigartige und individuelle. Meine Bilder sind auf den Menschen vor mir eingestimmt und kein Allerweltskram, wie er nach einer verlorenen Wette entsteht. Wer zu mir kommt, hat eine konkrete Vorstellung und ich gestalte daraus eine einzigartige Erfahrung.“ Klappern gehört zum Handwerk, vor allem da ich nicht annehme, hier einen Kunden zu finden. Cindy schweigt, während die Kosmetikerin nun eine aromatisch duftende Creme auf meinem Gesicht verteilt. Diese bringt sofort eine angenehme Kühle mit sich.
„ Interessiert?“
Cindy wird rot, während sie verlegen stotternd antwortet. „Ich bin mir unsicher. Ein Tattoo? Das ist etwas, das man mit Überlegung angehen muss.“
„ Cindy!“, fährt meine Kosmetikerin sie tadelnd an und Cindy fährt zusammen.
„ Entschuldigung“, murmelt sie und verfällt dann in brütendes Schweigen. Ein Blick in ihr Inneres lässt mich jedoch erkennen, dass sie zwischen Faszination und Zweifel hin- und
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