Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
ein.
„ Also wünschen Sie drei Karten?“, erkundigt sich die geduldige Rezeptionistin. Stimmt, die hatte ich total vergessen. Sie ist zu professionell geschult, um einen weiteren Kommentar abzugeben, doch hat sie unseren Wortwechsel mit wachsendem Interesse verfolgt. Ich nicke ergeben und sie bucht sie auf meinen Namen. „Sie nennen beim Empfang Ihren Namen und man wird Sie dann zu Ihren Plätzen führen.“
Wunderbar. Ich lächele. „Vielen Dank.“
Sie wünscht mir einen angenehmen Abend, während sie sich einem anderen Passagier zuwendet, um dessen Wünsche zu erfüllen.
Fay und Alex haben bereits das Foyer verlassen und scheinen Ben einholen zu wollen, der schon lange nicht mehr zu sehen ist. Ein Abendessen also in illustrer Gesellschaft. Ein guter Anfang für die zweite Nacht. Vielleicht wird ja doch noch mehr daraus. Langsam schlendere ich durch die bereits registrierten hölzernen Bibelszenen auf das Restaurant zu. Fay und Alex sind schon durch dessen Eingangstüren verschwunden. Kurz bevor ich ebenfalls die Türen erreiche, bin ich gewillt, doch noch nach rechts ins Empire Casino abzubiegen und den Abend dort zu verbringen. Der Impuls kommt plötzlich, und woher, ist mir unerklärlich, aber er stoppt mich.
Okay, was stimmt nicht? Ich horche in mich hinein und für einen schier endlosen Moment meldet sich mein zweites Gesicht. Natürlich im unpassendsten Moment, aber das hat diese Fähigkeit ja noch nie interessiert. Bewegungsunfähig bin ich in einer unendlichen Bilderflut gefangen:
An der Seite eines … Anzugs in einer Bar … klingendes Gelächter … Menschenmassen um uns herum … SCHNITT … der Anzug und ich in einer Bibliothek, vertieft in ein intellektuelles Gespräch … SCHNITT … eine ungemein heiße Bettszene ohne nähere Details, allerdings vermittelt sie das Gefühl von umfassender Vertrautheit … SCHNITT … Ich inmitten einer Massenorgie mit unbestimmtem Ziel … SCHNITT … Lichter über einer nächtlichen Stadt und das Gefühl wieder festen Boden unter den Füßen zu haben … SCHNITT … der Anzug und ich im Rausch der Geschwindigkeit auf einer zweispurigen dunklen Autobahn …
Dann ist es vorbei und übrig bleibt nur ein Gefühl von unbestimmter Befriedigung und absoluter Zufriedenheit. Na ganz große Klasse. Und wer steckt jetzt in dem verdammten Anzug? Das Gesicht war nicht zu erkennen, aber die Entwicklung, welche mir die Geschichte zeigt, ist … interessant.
Um meine Gedanken zu ordnen und mich erneut zu orientieren, sehe mich um. Vor mir die Eingangstüren zum Britannia Restaurant. Soll ich da wirklich reingehen? Ich meine, wer sagt denn, dass es diese beiden Anzüge sind, die in meiner Vision vorkommen? Egal, wenn ich eine Garantie haben will, sollte ich mir lieber einen Lockenstab kaufen.
Oder einfach mehr Zeit mit den Anzügen verbringen und schnellstmöglich herausfinden, ob sie es sind oder nicht. Das kann ich allerdings nicht vor der Tür. Unschlüssig bleibe ich noch einen Moment stehen, denn auch das Golden Lion Pub zu meiner Linken lockt mit fröhlichen Klängen. Gerade als ich mich abwenden und das Restaurant betreten will, vernehme ich vertraute Stimmen.
„ Aber wenn ich es dir doch sage, Berta, in genau so einem Pub haben wir uns damals kennen gelernt.“
Ich horche auf und sehe mich um. Vor dem Lions Pub stehen zwei bekannte Personen und begutachten die Speisekarte.
„ Ach, Heinrich, das waren noch Zeiten, was? Ob sie hier auch originalen Plumpudding haben?“ Berta steht so nah an dem Glaskasten, in dem die Karte ausgehängt ist, dass sie diese fast mit der Nase berührt.
Spontan entscheide ich, dass Ben und seine Begleiter noch warten können. Sie werden sowieso erst einmal mit dem Essen beginnen wollen, und da sie mit der Bestellung nicht auf mich warten müssen, wende ich mich den beiden zu. „Guten Abend, Mr. und Mrs. Fröhlich.“
Beide drehen sich um und Berta strahlt mich an. „Miss Ashton, wie schön. Hatten Sie einen angenehmen Tag? Wir haben Sie gar nicht beim Frühstück gesehen.“
Aha, die Hörgeräte scheinen heute Abend tadellos zu funktionieren. Ich täusche Verlegenheit vor und erwidere. „Ich habe erst sehr spät gefrühstückt. Ich bin einfach nicht aus dem Bett gekommen. Das muss an der Seeluft liegen.“
Heinrich lacht freundlich. „Machen Sie sich mal keine Sorgen, Miss. Die Jugend hat das Vorrecht, lange im Bett zu bleiben und sich zu erholen.“ Er zwinkert mir zu. „Wenn Sie erst in unserem Alter sind, ist
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