Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
jeder Moment kostbar, den man im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten erleben darf.“ Er tippt sich grinsend an die beinahe kahle Schläfe. „Der alte Kopf will manchmal etwas anderes als der Körper. So ist das, wenn man alt ist.“
Gütig lächele ich zurück.
„ Ich versuche meiner Frau gerade zurück ins Gedächtnis zu rufen, dass wir uns damals in genau so einem Pub kennen gelernt haben.“
Sie ist empört. „Aber Heinrich, das wüsste ich doch, ich bin doch nicht senil.“
Er grinst. „Das würde ich nie behaupten. Allerdings scheinst du vergessen zu haben, dass du mir damals einen Korb gegeben und mir einen großen Krug Ale über meinen besten Anzug gegossen hast.“
Sie wird plötzlich kirschrot. „Das warst doch nicht du, Heinrich.“ Sie kneift die Augen zusammen, um sich besser erinnern zu können. „Das war der freche Billy Jankins, dem ich das Ale über den Anzug gegossen habe. Aufdringlicher Kerl.“
„ Nein Berta, das war ich. Mit Billy Jankins bist du dann damals nach Hause gegangen und warst mit ihm dann noch auf dem Abschlussball.“
Sie nimmt ihre Brille ab, putzt ein imaginäres Staubkorn davon und setzt sie zurück; dann erklärt sie entschieden: „Ich war niemals mit Billy Jankins zum Abschlussball. Da musst du dich entschieden täuschen.“
Er drückt sie kurz an sich. „Ich werde dir die Fotos zeigen, wenn wir wieder zu Hause sind, meine Liebe.“
Sie schnaubt affektiert. „Das sind doch alles Fälschungen. Die kann man doch heutzutage mit dem Computer bearbeiten. Frage deinen Enkel, der kennt sich damit wunderbar aus.“ Plötzlich scheint sie einen Geistesblitz zu haben. „Natürlich, das war Melodys Bruder Trevor der Schlingel! Am Computer.“
Heinrich lacht. „Nein, Berta, das sind echte Fotos.“
Sie zwinkert mir zu und erklärt halblaut: „Solange er das glaubt, bin ich in Sicherheit.“
Heinrich tut so, als hätte er diesen Kommentar nicht gehört.
„ Merken Sie sich eins, meine Liebe“, fährt sie geheimnisvoll an mich gewandt fort, „wer in der Jugend nichts erlebt, kann im Alter nichts erzählen.“ Auch sie zwinkert mir zu, was ihr Gesicht in tausendundeine kleine Falte legt. „Auch Frauen in unserem Alter müssen ihre Männer bei der Stange halten. Nachher kommt da noch ein junger Hüpfer von 50 Jahren und schnappt ihn mir weg.“
Nun muss ich doch lachen. „Aber Berta“, versuche ich sie zu beruhigen, „Ihr Heinrich wird doch sicher nur hinter Ihnen her sein. So wie er Sie vergöttert. Da kann ein solch junger Hüpfer gar nichts dagegen ausrichten.“
„ Sie schmeicheln mir, meine Liebe.“ Trotz ihres beschwichtigenden Tons sehe ich doch das Funkeln in ihren Augen. Sie dreht sich zu ihrem Mann um. „Heinrich, würdest du uns bitte schon einmal einen Tisch suchen? Ich komme gleich nach.“ Liebenswürdig sieht sie ihn an und er kann nicht anders, als ihrem Charme zu erliegen. „Und erkundige dich doch bitte, ob sie echten Plumpudding haben.“
Er gibt nach und macht einen Schritt auf den Eingang zu. „Natürlich, Liebes.“
Als Heinrich in dem Pub verschwunden ist, schiebt mich Berta in eine kleine Ecke, und sieht mich verschmitzt an. „Die alten Tricks sind immer noch die besten, nicht wahr? Ach, Billy Jankins. Ein prachtvoller Junge.“
Ich lache auf. „Sie sind eine Schwerenöterin, Berta.“
Sie setzt eine belehrende Miene auf. „Mein liebes Kind, ich will Ihnen mal etwas sagen: Eifersucht ist das Salz in einer gut funktionierenden Beziehung. Man darf die Suppe natürlich nicht versalzen, aber ab und an ein kräftiger Schuss, und sie wissen wieder, was sie an uns haben.“
Wieder lache ich kopfschüttelnd. „Aber das haben Sie beide noch nun wirklich nicht nötig.“
Ein wenig wehmütig sieht sie mich an. „Ich fürchte schon, Liebes.“ Sie seufzt leicht. „Einen Mann zu halten und ihn dann auch noch davon zu überzeugen, dass es seine Idee ist, bei einem zu bleiben, ist keine einfache Sache.“ Sie mustert mich über die Ränder ihrer Brille, bevor sie fortfährt. „Sie sind ja noch so jung. Machen Sie sich mal keine Sorgen.“
Plötzlich grinst sie mich schief an. „Aber diesen Lord, wie heißt er doch gleich?“
„ Ben.“
„ Ach ja, richtig. Also diesen Ben, den würde ich mir warmhalten. Ein Mann mit Geld und Beziehungen ist immer eine gute Wahl. Hatten Sie schon Gelegenheit ihn näher kennen zu lernen?“
Interessant, dass sie das beschäftigt. „Leider noch nicht“, erwidere ich
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