Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

die erkannt hat, dass ihre Tochter vermutlich gleich sehr dumm dastehen wird.
    „ Ist doch wahr“, pampt Jessica nun auch ihre Mutter an. „Soll sie doch zeigen, dass sie es besser kann, anstatt hier nur rumzunörgeln.“
    Tja, was soll ich sagen? Sharroll kann.
     

 
     
    18. Sharroll
     
    Eine kleine Weile tritt vollkommene Stille ein, allerdings erst nachdem Petunia ihre Tochter beinahe genötigt hat, sich zu setzen. Mr. Brown nippt an seinem Champagner, während sich Mrs. Summerstone und Petunia amüsierte Blicke zuwerfen. Jessica hat die Arme vor der Brust verschränkt und durchbohrt ihre Kontrahentin geradezu mit bösen Blicken. Collin mustert Sharroll und ich warte einfach ab.
    Das Wunder geschieht langsam. Sharroll wirft einen flüchtigen Blick auf die Noten, während ihre schlanken Finger über die Tastatur gleiten. Als sie gerade beginnen will, tritt ein junger Mann zu unserer Gruppe hinzu. Er trägt einen teuren, silbergrauen Anzug und dazu ein blütenweißes Hemd. Den Hals ziert eine fliederfarbene Fliege, die ihn keineswegs albern aussehen lässt. Auf den ersten Blick sieht er einfach nur gut aus, auf den zweiten hat er Klasse.
    Der leichte Dreitagebart hätte an einem anderen Mann sicher albern gewirkt, in diesem Fall aber verleiht er seinem Gesicht etwas Markantes. Seine halblangen, sehr gepflegten Haare sind zu einem lässigen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ja, ein durch und durch … interessanter … Anblick. Ich mustere ihn etwas genauer, doch er hat nur Augen für Sharroll. Braver Junge!
    Merkwürdig, je länger ich ihn betrachte, desto eindeutiger scheint er nicht der Typ für eine Kreuzfahrt zu sein. Aber wer ist das schon? Auch meine ich mich an das Gesicht vage zu erinnern. Ich kann es aber absolut nicht zuordnen und so wende ich mich von ihm ab.
    „ Hallo“, grüßt er freundlich und betrachtet Sharroll eingehend. „Gibt es hier ein Konzert?“
    „ Ja“, erwidert Jessica mit beißendem Spott in ihrer Stimme. „Sharroll will mir zeigen, wie Adadio geht.“ Ich überlege kurz, ob ihr schon mal jemand gesagt hat, wie hässlich sie aussieht, wenn sie so gehässig ist? Vermutlich hat sich das bisher niemand so recht getraut. Ihre Reaktion darauf zu sehen, wäre sicher interessant. Nur knapp kann ich mich beherrschen, sie darauf anzusprechen, aber das würde Sharrolls Auftritt ruinieren. Das will ich ihr einfach nicht antun. Die Ärmste ist schon nervös genug. Im Stillen nehme ich mir trotzdem vor, Jessica noch einmal beiseitezunehmen und es ihr unter die Nase zu reiben, nur für den Fall, dass wir uns erneut über den Weg laufen sollten.
    „ Allegro“, murmelt Sharroll vor sich hin. „Das Stück beginnt im Allegro.“ Sie atmet durch und beachtet den jungen Mann überhaupt nicht. „Und außerdem wollte ich nur zeigen, dass diese Zweiunddreißigstel und Sechzehntel …“
    Doch es ist zwecklos. Jessica unterbricht sie erneut mit einem gönnerhaften „Lass dich nicht aufhalten. Wir sind ganz Ohr.“
    „ Sie verstehen etwas von Musik?“, erkundigt sich der Fremde freundlich bei Jessica.
    Sie nickt selbstbewusst zurück. „Ich bin eine Konifere.“
    Ein Zucken geht durch ihre Mutter und beinahe hätte ich meinerseits den winzigen Schluck Champagner wieder ausgespuckt, den ich mich zu nippen gezwungen habe.
    Der junge Mann bleibt unbeeindruckt, während Jessicas Mutter ihr überdeutlich „Koryphäe“ souffliert .
    „ Habe ich doch gesagt.“ Ärgerlich stampft Jessica mit dem Fuß auf. „Und ich werde die Filmmusik für den tollen neuen Film von diesem Herrn hier schreiben.“ Jessica deutet auf Collin, dessen Gesichtsausdruck erkennen lässt, dass er am liebsten ganz woanders wäre.
    „ Das ist ja interessant“, der junge Mann blickt Collin ebenfalls interessiert an, doch dieser zieht es vor, nicht darauf zu reagieren.
    „ Ganz genau“, Jessica ist noch nicht fertig. „Für einen tollen Film mit George Clooney, Brad Pitt und Orlando Bloom.“ Collin zuckt jetzt mehr als nur zusammen. „Wahlweise auch mit Johnny Depp, das kann man noch nicht genau sagen.“ Sie macht eine wegwerfende Handbewegung.
    „ Ich wünsche viel Erfolg dabei.“ Der junge Mann ist ganz und gar nicht beeindruckt. „Doch jetzt würde ich gerne das Spiel dieser jungen Dame hören.“
    Alle Aufmerksamkeit wendet sich erneut Sharroll zu. Diese, nach außen hin die Ruhe selbst, scheint nun doch Zweifel an ihrer Courage zu haben. Ich kann ihr ansehen, dass ihr das Herz bis zum Hals hinauf klopft. Sie