Nachte des Sturms
Shawn so gut wie nie.
Sein Wagen stand nicht in der Einfahrt, also war er sicher in der Kirche. Nun, sie würde warten. Sie ging durch das Gartentor und hob, halb in der Erwartung, Lady Gwen zu sehen, ihren Kopf. Doch hinter den Fenstern blieb alles völlig ruhig.
Sie trat über die Schwelle und wäre beinahe über seine schmutzigen Arbeitsschuhe gestolpert, die noch dort lagen, wo er sie am Abend zuvor ausgezogen hatte. Sie schob sie mit dem Fuß zur Seite und ging hinüber in das kleine Wohnzimmer, um im Kamin ein Feuer zu entfachen.
Seine Notenblätter lagen auf dem Klavierdeckel verstreut, und auf dem Tisch stand eine Tasse, aus der er sicher seinen Tee getrunken hatte, neben einer dickbäuchigen grünen Flasche voller Gartenblumen.
Typisch, dachte Brenna. Ebenso wie sie vergaß er meistens einfach, beim Betreten des Hauses die Stiefel abzutreten, aber wie so häufig hatte er auch jetzt die Zeit gefunden, das Zimmer mit einem Blumenstrauß zu schmücken.
Weshalb nur dachte sie selbst niemals an derartige Dinge? Sie mochte Häuser voller Blumen, Zimmer voller Kerzen und den zarten Duft von beidem. Sie würde immer daran denken, den Kamin zu fegen und genug Torf oder Holz bereit zu legen, niemals jedoch fielen ihr all die kleinen Dinge ein, die ein Haus zu einem Heim machten.
Als das Feuer brannte, stand sie auf und trat vor das Klavier. Hatte er hier letzte Nacht gearbeitet? Er war wütend auf sie gewesen. Reagierte er durch die Musik auch seinen Zorn ab oder verarbeitete er in ihr einzig seine Träume?
Er hat sein Herz in dieses Lied gelegt, hatte Lady Gwen zu ihr gesagt, als sie eine seiner Weisen leise gespielt hatte. Stirnrunzelnd überflog sie die zahllosen mit Noten und Worten bekritzelten Seiten. Wenn es wirklich stimmte, dass seine Musik die Stimme seines Herzens war, weshalb ließ er seine Melodien dann einfach so herumfliegen? Warum tat er nichts Sinnvolles damit?
Wie konnte sie derart viel für einen Mann empfinden, dem jeder Antrieb fehlte? Es konnte ihm doch unmöglich genügen, ein solches Talent zu besitzen, ohne es irgendwie zu nutzen.
»Die Perlen, die ich dir gebracht« , las sie halblaut seine jüngste Arbeit,
»die hat der Mond geweint.
Gleich meinem Herzschlag rinnen sacht
Die Tränen, weil wir nicht vereint.
Der Bann uns trennet Nacht für Nacht,
bis irgendwann die Liebe Dritter gut es mit uns meint.«
Er besingt also Legenden, dachte Brenna – und wartet gleichzeitig worauf? Als sie seinen Wagen hörte, legte sie die Noten eilig fort.
Schon von weitem hatte er den Rauch aus dem Kamin aufsteigen sehen, sodass er wusste, dass Brenna zurückgekommen war. Wie er darauf reagieren würde, wusste er noch nicht. Er musste einfach hoffen, dass er, wie bei seinen Melodien, eine plötzliche Eingebung hatte.
Er betrat das Haus, und sie kam aus dem Wohnzimmer.
»Die Vormittage sind immer noch recht kühl, deshalb habe ich ein Feuer angemacht.«
Er nickte. »Möchtest du vielleicht einen Tee?«
»Nein.« Ängstlich sah sie in sein unbewegtes Gesicht. »Bist du immer noch wütend auf mich?«
»Nicht mehr so wie gestern Abend.«
»Nun …« Es war neu und alles andere als angenehm für sie, nicht zu wissen, wie sie sich ihm gegenüber am besten verhielt. »Ich dachte, ich sollte dir sagen, dass Mary Kate und ich heute Morgen ein Gespräch hatten.«
»Dann habt ihr euren Streit also beendet?«
»Ja.«
»Das freut mich. Ich hoffe, irgendwann können sie und ich ebenfalls wieder normal miteinander umgehen.«
»Ich denke, die Sache ist ihr bestimmt noch eine Zeit lang etwas peinlich, aber … nachdem ich ihr all deine Fehler aufgezählt habe, meint sie, dass sie dich vielleicht doch nicht wirklich liebt.«
Er zog seine Brauen in die Höhe. »Das war wirklich clever.«
»Shawn.« Als er das Wohnzimmer betreten wollte, legte sie eine Hand auf seinen Arm und hielt ihn im Türrahmen zurück. »Es tut mir Leid, dass wir uns gestern im Streit getrennt haben.«
Er wusste, dass Worte der Entschuldigung ihr alles andere als leicht über die Lippen kamen. »Dann tut es mir auch Leid.«
»Mich stören deine Fehler nicht – oder zumindest kaum.«
Sie roch nach Sonntag, nach Haarshampoo und Seife, und in ihren Augen lag ein beinahe flehender Ausdruck. »Dann meinst du also, wir beide könnten uns auch wieder vertragen?«
»Das will ich unbedingt.«
Er ging durch das kleine Zimmer und setzte sich auf den einzigen nicht mit Notenblättern zugedeckten Stuhl. »Warum setzt du dich
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