Nachte des Sturms
Schwangerschaft steht dir tatsächlich gut. Ich erinnere mich noch daran, wie ich dich vor einem Jahr zum ersten Mal gesehen habe. Du hast im Regen vor der Tür des Faerie Hill Cottages gestanden und ungemein verloren gewirkt. Aber inzwischen bist du gefunden worden.«
»Was für eine hübsche Formulierung. Ja, inzwischen wurde ich gefunden. Es sind Dinge geschehen, die ich immer wollte, ohne dass ich mich auch nur getraut hätte zuzugeben, dass ich sie mir wünschte.«
»Du hast dafür gesorgt, dass sie geschahen.«
»Zum Teil.« Sie nagte weiter an dem Plätzchen, während Brenna in der Küche auf und ab lief. »Und einige
Dinge sollten anscheinend ganz einfach passieren. Man muss nur den Willen und den Mut aufbringen zuzulassen, dass es dazu kommt.«
»Als du gemerkt hast, dass du Aidan liebst, hast du es ihm gesagt? Ich meine, hast du es ihm sofort gesagt?«
»Nein, dazu hatte ich beim besten Willen nicht den Mut und auch nicht genug Vertrauen in mich selbst.«
Brenna sah sie fragend an. »Und auch nicht in ihn.«
»Und auch nicht in ihn«, gab Jude unumwunden zu. »Bevor ich hierher nach Irland kam, habe ich nie die Dinge in die Hand genommen, und auch hier war es ganz sicher nicht mein Mut, der dazu geführt hat, dass um mich herum oder mit mir selbst so viel geschah. Ich war ängstlich und entsetzlich passiv. Ich musste an mir arbeiten. Lernen, manche Dinge in die Hand zu nehmen und darauf zu vertrauen, dass andere Dinge sich dann ganz von selbst ergeben.«
»Aber ein paar Schritte musstest du selbst tun.«
»Ja. Liebst du Shawn?«
Stirnrunzelnd nahm Brenna Platz. »Scheint so. Allerdings schäme ich mich nicht zu sagen, dass diese Entdeckung für mich ein echter Schock ist.«
»Die Liebe steht dir gut, Brenna.«
Judes abgewandelte Wiederholung ihrer eigenen Worte brachte sie zum Lachen. »Ich fühle mich entsetzlich. Aber ich nehme an, ich werde mich daran gewöhnen. Ich mache den Tee«, sagte sie, als der Kessel pfiff.
»Nein, bleib sitzen. Hast du es ihm schon gesagt?«
»Ganz bestimmt nicht.« Sie hob hastig den Kopf, als ihr plötzlich ein Gedanke kam. »Ich weiß, dass Ehepartner dazu neigen, einander beinahe alles zu erzählen, aber –«
»Du willst nicht, dass Aidan etwas von unserem Gespräch erfährt.«
»Nein.«
»Dann werde ich ihm auch nichts davon sagen.«
»Danke.« Brenna atmete erleichtert auf. »Augenblicklich geht es darum, die richtigen Schritte in der richtigen Reihenfolge zu machen. So gut ich ihn auch kenne – Shawn, meine ich – ist er, seit sich … die Dinge zwischen uns geändert haben, einfach nicht mehr so berechenbar.«
»Eine Liebesbeziehung hat einfach eine andere Dynamik als jede selbst noch so gute, lebenslange Freundschaft.«
»Das habe ich bemerkt. Trotzdem weiß ich, dass er meistens einen ordentlichen Tritt in seinen Hintern braucht, bevor er sich bewegt. Und jetzt unternehme ich den ersten Schritt in einer Sache, die mich schon seit Jahren stört, und von der ich denke, dass sie ihm alles in allem wirklich wichtig ist.« Sie erhob sich halb von ihrem Stuhl und zog die Notenblätter aus der Tasche ihrer Jeans.
»Ist das eins von seinen Liedern?«
»Ich habe ihn dazu überredet, es mir zu überlassen. Er hat wirklich Talent, findest du nicht auch?«
»Ich glaube schon.«
»Warum macht er dann nicht irgendwas daraus? Du als Psychologin müsstest doch wissen, wie das Hirn des Menschen funktioniert.«
»Ich bin eine ehemalige, bestenfalls mittelmäßige Dozentin.« Jude stellte die Kanne auf den Tisch und nahm zwei Tassen aus dem Schrank. »Aber als solche würde ich vermuten, er hat ganz einfach Angst.«
»Wovor?«
»In einer Sache zu versagen, die ihm wirklich viel bedeutet. Was, wenn seine Musik einfach nicht gut genug ist?
Was, wenn er selbst nicht gut genug ist? Es gibt jede Menge Menschen, die am Rande eines solchen Abgrunds stehen und den Sprung einfach nicht wagen, Brenna.« Sie schenkte den Tee ein. »Du allerdings bist anders. Du krempelst einfach deine Ärmel hoch und baust dir eine Brücke.«
»Dann baue ich jetzt eine Brücke für den guten Shawn. Er hat mir dieses Lied geschenkt, also kann ich damit tun und lassen, was ich will. Ich möchte es jemandem schicken, der sich mit diesen Dingen auskennt. Der sagen kann, ob es sich lohnen würde, es auf irgendeine Weise zu vermarkten.«
»Ohne dass Shawn davon erfährt.«
»Ich werde kein schlechtes Gewissen deshalb haben«, murmelte Brenna, als wollte sie sich selbst überzeugen.
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