Nachte des Sturms
dass es mir derart schwer fallen würde, den Gedanken daran zu verdrängen.«
»Tja, du musst eben einfach an dir arbeiten.« Neugierig nahm er ihr gegenüber Platz. »Du bist auch mit Jude befreundet, aber es scheint dir nie etwas ausgemacht zu haben, dass sie und Aidan –«
»Jude habe ich zu dem Zeitpunkt erst kennen gelernt.« Darcy starrte ihren Bruder mit ihren großen, blauen Augen an. »Das war etwas vollkommen anderes. Es muss an deinem Gesicht liegen«, beschloss sie nach einem Moment. »Schließlich kennt sie dich genau, sodass es unmöglich deine Persönlichkeit sein kann, von der sie sich urplötzlich angezogen fühlt. Dein Aussehen hat sie anscheinend vollkommen geblendet, denn du bist tatsächlich ziemlich attraktiv.«
»Das sagst du nur, weil wir beide uns so ähnlich sehen.«
Als sie erneut herzhaft in ihr Sandwich biss, blitzten dabei zwei Reihen strahlend weißer Zähne. »Das ist natürlich richtig. Aber wir können nichts dazu, dass wir so schön sind, oder was meinst du?«
»Nun, mit dieser Last müssen wir leben.« Er sprach in einem derart grüblerischen Ton, dass Darcy fröhlich lachte.
»Das ist eine Last, die ich durchaus nicht ungern trage. Und wenn ein Mann nicht weiter sehen will als bis in mein Gesicht, dann ist mir das egal. Mir reicht es, dass ich selbst weiß, dass ich auch ein Hirn habe.«
»Dann nimmt dich dieser Kerl aus Dublin, mit dem du hin und wieder ausgehst, also nicht richtig ernst?«
Sie zuckte mit den Schultern, wütend auf sich selbst, weil sie mit dieser gewinnversprechenden Beziehung so unzufrieden war. »Er genießt meine Gesellschaft und führt mich im großen Stil in teure Restaurants.« Da sie mit Shawn allein war, atmete sie zornig zischend aus. »Wo er die Hälfte der Zeit damit verbringt, mit sich selbst und seiner Arbeit anzugeben, in der Erwartung, dass es mir vor lauter Ehrfurcht die Sprache verschlägt. Dabei ist die Sache die, dass er noch nicht mal halb so clever ist, wie er sich einbildet, und dass er den Großteil der Dinge, die er erreicht hat, nicht seinen eigenen Fähigkeiten oder seiner harten Arbeit, sondern den guten Beziehungen seiner Familie zu verdanken hat.«
»Dann bist du ihn also allmählich leid.«
Sie öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu und zuckte mit den Schultern. »Ja. Was ist nur mit mir los?«
»Wenn ich dir das sage, wirfst du mir bestimmt den Teller an den Kopf.«
»Bestimmt nicht.« Zum Beweis ihrer friedlichen Absichten schob sie den Teller ein Stückchen zur Seite. »Zumindest nicht sofort.«
»Also gut, dann werde ich dir sagen, was nicht mit dir stimmt. Du unterschätzt dich, Darcy, und dann wirst du wütend, wenn andere das auch tun. Du hast keinen Respekt vor den Männern, die sich dir zu Füßen werfen und dir die Welt auf einem großen Silbertablett versprechen. Du hast dein Leben lang problemlos für dich selbst gesorgt. Und du weißt, dass du das auch in Zukunft können wirst.«
»Ich will aber mehr«, antwortete sie heftig und stand plötzlich unerklärlicherweise kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Was ist daran falsch?«
»Nichts. Nicht das Geringste.« Er nahm zärtlich ihre Hand.
»Ich will reisen, will Länder, Städte, Dinge sehen. Dinge haben .« Sie sprang von ihrem Stuhl und stapfte durch die Küche wie ein Tiger im Käfig. »Ich kann nichts dagegen tun. Alles wäre leichter, wenn ich nur ein bisschen in ihn verliebt wäre. Das würde schon reichen. Aber ich bin es einfach nicht und kann es mir auch nicht einreden. Heute Morgen bin ich wach geworden und wusste, dass ich die Sache beenden und damit zugleich eine wunderbare Parisreise über Bord werfen würde.«
»Damit tust du genau das Richtige.«
»Ich tue es aber nicht, weil es das Richtige ist.« Sie warf frustriert die Hände in die Luft. »Ich tue es, weil ich nicht meine erste Parisreise dadurch verderben will, dass ich sie mit einem Mann unternehme, der mich zu Tode langweilt, Shawn.« Sie kam wieder an den Tisch, setzte sich auf ihren Stuhl, beugte sich nach vorn und sagte ernst: »Ich bin kein netter Mensch.«
Wieder nahm er ihre Hand und tätschelte sie tröstlich. »Ich liebe dich trotzdem.«
Sie brauchte einen Augenblick, ehe ihre Augen anerkennend blitzten. »Ich hätte wissen müssen, dass du jetzt nicht anfängst, meine Vorzüge aufzuzählen. Aber trotzdem geht es mir jetzt besser.« Sie tauchte erneut den Finger in die Schüssel und leckte ihn ab. »Ich wünschte, ich könnte jemanden finden, mit dem ich einfach
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