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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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klickte zu Jemima in Jeans und T-Shirt zurück.
    Erst jetzt sah er genau hin, schüttelte den Kopf und sagte, auf ihre Antwort gespannt: »Nein, an niemand.«
    »Okay. Danke …«
    »Stanwell«, sagte er. »Des Stanwell, Ma'am.« Er blickte wieder auf das Bild. »Sieht wie 'ne piekfeine Studentin aus. Nicht wie … Sie wissen schon.«
    Sie wusste es. »Danke, Des.« Sie wartete, bis er die Tür geschlossen hatte. Sie musste diese Bilder ausdrucken, aber sie war nicht mit dem Farbdrucker verkabelt. Deshalb fing sie an, die Seiten mit Jemima herunterzuladen und trommelte ungeduldig auf den Tisch, weil es so lange dauerte. Während sie wartete, erinnerte sie sich, dass sie ihre Post noch nicht gelesen hatte. Sie blätterte alles schnell durch und bemerkte ärgerlich, dass der versprochene Bericht über das Katja-Tonband immer noch nicht gekommen war. Als alles heruntergeladen war, griff sie zum Telefon.
    Sheffield, Montag, 8 Uhr 30
    Über der Stadt lag ein Tiefdruckgebiet, am undurchsichtig bleiernen Himmel regte sich nichts, und so begann für Roz der Montag freudlos und grau. Auf der Fahrt zur Arbeit im stockenden Berufsverkehr spürte sie, wie sich Apathie in ihr ausbreitete. Nathan hatte solche Tage immer gehasst. »Warum macht man sich eigentlich die Mühe, aufzustehen? Komm, Roz, ruf im Büro an. Sag ihnen, du seist krank. Komm wieder ins Bett.« Warum kam ihr jetzt Nathan in den Sinn? Als sie in der Autoschlange immer wieder halten und anfahren musste, versuchte sie, an andere Dinge zu denken. Der Tag, den sie vor sich hatte, würde eine ganze Reihe von Zerstreuungen bringen. Gemma. Gemma hatte Tutorenkurse zu geben, für die jemand einspringen oder die abgesagt werden mussten. Außerdem stand genug andere Arbeit an. Roz würde Gemmas unerledigte Arbeit durchgehen und nachsehen müssen, wo … Aber das konnte sie ja nicht. Gemmas sämtliche Dateien und Sicherheitskopien waren verschwunden. Und dann war da noch Roz' eigene Arbeit. Bis Ende der Woche musste sie die nächste Phase ihrer Vorschläge für die Forschungsprojekte fertig haben. Um zwölf hatte sie ein Seminar, dann einen Termin mit ihrer Doktorandin, die ihre bevorzugte Kandidatin für eine der Assistentenstellen war, die Joanna zu besetzen plante … Und Gemma. Vor Frustration schlug sie mit der Faust gegen das Steuerrad und fuhr zusammen, als es hupte. Entschuldigend lächelte sie dem Fahrer vor ihr zu und zwang sich zur Konzentration. Am liebsten hätte sie umgedreht, um auf der entgegengesetzten, fast leeren Fahrbahn aus dem Stadtzentrum hinauszufahren. Sehr aufbauend, Roz! Solche Tage wie heute gab es nun mal. Sie musste einfach Prioritäten setzen.
    Der Verkehr war so schlimm, dass sie sich verspätete und auf dem Parkplatz nichts mehr frei war. Sie verlor noch mehr Zeit bei der Suche nach einem Platz in den kleinen Seitenstraßen, wo sie das Auto abstellen konnte, ohne eine Verwarnung oder das Abschleppen zu riskieren. Als sie endlich von dem Parkplatz zurückkam, den sie gut fünf Minuten entfernt gefunden hatte, waren die Stufen zum Arts Tower voller Studenten und der Eingang von Warteschlangen vor den Aufzügen und dem Paternoster versperrt. Roz drängte sich durch die Menge, nickte im Vorbeigehen grüßend dem Pförtner in seiner Loge zu und ging zur Treppe. Zum dreizehnten Stock zu Fuß hochzugehen war für jemanden, der hauptsächlich im Sitzen arbeitete, ein gutes Fitnesstraining. Automatisch folgte sie ihrer Angewohnheit, die ersten fünf Stockwerke zu gehen, die nächsten fünf zu laufen, und die letzten drei wieder zu gehen, damit sie nicht verschwitzt und mit rotem Gesicht oben ankam.
    Als die Türen zum Treppenhaus sich hinter ihr schlossen, war es sehr still. Die Treppen waren aus Beton und Leichtstein und die Stufen mit grau meliertem Linoleum belegt. Licht kam von den Leuchtstoffröhren, Tageslicht gab es nicht. Sie konzentrierte sich aufs Hinaufsteigen und spürte, wie nach anfänglicher Ermüdung die Energie wiederkam. Man konnte im Treppenhaus mit den hohen Steinwänden und den vielen Stufen Platzangst bekommen. Einen Moment war es fast, als wäre sie im ganzen Gebäude allein, dann hörte sie über sich eine Tür aufgehen, laut zufallen und dann schnelle Schritte. Das Hallen auf der Treppe war verwirrend, denn man konnte erst im letzten Moment hören, ob jemand nach oben ging oder von dort herunterkam.
    Plötzlich schoss, drei Stufen auf einmal nehmend, ein junger Mann mit Schwung um die Ecke und an ihr vorbei und verschwand

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