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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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Tür aufstieß und es leise klingelte, fühlte sie sich einen Moment in den dunklen Laden ihrer Kindheit zurückversetzt und glaubte, gleich Mrs. Rogers Stimme fragen zu hören: »Willst du deine Bonbons, Schätzchen?« Aber diese Tür führte in ein kleines Zimmer. Aus der Theke des alten Ladenraums hatte man einen behelfsmäßigen Empfangstisch gemacht, und an der Wand standen Stühle. Das Zimmer war leer, aber die Tür hinter dem Ladentisch ging auf, und eine Frau in einem Schalwar Kameez kam heraus und sah Lynne argwöhnisch an. Lynne zeigte ihren Ausweis und sagte: »Ich suche Matthew Pearse.«
    Die Frau betrachtete den Ausweis genau und sagte abweisend: »Kommen Sie.« Mit einer Kopfbewegung wies sie auf die Tür hinter sich. Sie hatte einen ausgeprägten Akzent.
    Lynne folgte ihr und gelangte in ein kleines Büro, das mit einem Schreibtisch, einem Aktenschrank, einem Regal und zwei Stühlen übervoll schien. Es war niemand da. Die Regale enthielten Bücher in einer fremden Schrift, die Lynne nicht lesen konnte. Arabisch? Es standen auch Schachteln mit Merkblättern da, die sie sich, ohne zu fragen, ansah. Die Themen betrafen hauptsächlich Sozialhilfe und Gesundheitswesen, vor allem in Bezug auf Kinder. Impfungen, Wie Sie Ihr Baby ernähren, Wohngeld, Unterstützung für Alleinerziehende. Fragen zu Wohlfahrt und Sozialhilfe, wie es an der Tür stand. An der Wand hinter dem Schreibtisch hing eine getippte Liste mit Adressen und Telefonnummern, die handschriftlich ergänzt worden war. Die Frau beobachtete Lynne schweigend, die ihr mit den Worten »Detective Inspector Jordan« die Hand hinhielt.
    Die Frau zögerte zuerst, nahm dann aber die ausgestreckte Hand und sagte nach einer kleinen Pause: »Nasim Rafiq«, und fügte dann hinzu: »Matthew Pearse ist nicht hier. Aber bald.« Pearse würde also demnächst kommen. Okay, Lynne konnte warten. Sie lächelte der Frau zu, die ihr Lächeln zögernd erwiderte.
    »Mrs. Rafiq.« Lynne fragte sich, wie gut die Frau Englisch sprach. Wahrscheinlich gut genug, um hier zu arbeiten. »Könnten Sie mir wohl etwas über dieses Zentrum erzählen, über die Arbeit, die Sie hier tun?«
    Rafiq sah Lynne eine Weile schweigend an und zeigte dann auf die Merkblätter. »Beratung«, sagte sie.
    Das war vermutlich nicht ironisch gemeint, sondern ein wirklicher Erklärungsversuch. »Und wem bieten Sie Beratung an, Mrs. Rafiq?«
    »Flüchtlinge«, sagte die Frau nach einer Denkpause. »Sie kommen von … andere Länder. Von Regierung.«
    Ein Zentrum, das Asylanten Hilfe anbot, die aufgrund des Verteilungssystems nach Norden gekommen waren. Dies passte zu der Beschreibung, die Michael Balit ihr gegeben hatte – ein Netz ehrenamtlicher Organisationen, oft von Mitgliedern der Asylantengruppen selbst geleitet, die häufig weder gut ausgebildet noch besonders befähigt waren und trotzdem einzuspringen versuchten. Dies hier war ein solcher Ort, der für sie interessant sein könnte. Sie sah sich in dem Raum um. Eine Tür führte vermutlich zum Rest des Gebäudes. »Darf ich mich mal umsehen?«, fragte sie.
    Rafiq schien das nicht zu überraschen, sie stand auf. Sie schloss die vordere Tür ab, ging mit Lynne in den hinteren Raum und forderte sie mit einer Geste auf, alles anzuschauen, was sie sehen wollte. Dieses Zimmer war praktisch kaum möbliert. Eine Couch stand an einer Wand neben einem Sessel mit Holzlehnen und durchhängendem Polstersitz. Ein kleines Gasöfchen an der anderen Wand erfüllte die Luft mit einem schwachen, süßlichen Gasgeruch. Hinter dem Zimmer führte ein Gang zur Treppe und zu einer winzigen Kammer, der Küche. Eine andere Tür ging auf den nasskalten Garten hinaus, der von der hohen Mauer des Lagerhauses überschattet war.
    Lynne betrachtete fragend die Treppe und dann Nasim Rafiq. »Wir lagern dort Sachen«, sagte Rafiq. »Gehen Sie …«, forderte sie Lynne mit einer Geste auf, und diese nutzte die Gelegenheit, sich die oberen Räume anzusehen, die, wie Rafiq gesagt hatte, als Lagerraum genutzt zu werden schienen. Es gab Stöße staubiger Kartons, die offenbar schon längere Zeit hier standen. Lynne machte den Deckel einer Schachtel auf und stellte fest, dass sie voll Kleider und Wollsachen war. An den Wänden entlang waren ziemlich schäbige Möbel aufgestapelt. Lynne kam die Treppe herunter und wischte sich die schmutzigen Hände am Rock ab. Rafiq sah es und zeigte auf eine kleine Spüle in der Küche. Lynne wusch sich die Hände und trocknete sie an dem

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