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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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auflegen, sagte dann aber noch schnell: »Luke, hier ist Roz. Ruf mich bitte an. Ich habe einige von Gemmas Dateien gefunden, auf dem Laptop.«
    Bei dem Gedanken an ihre Entdeckung fiel ihr etwas ein, das sie tun und auf das sie sich vielleicht doch konzentrieren konnte. Sie könnte sich noch einmal Gemmas Bericht für DI Jordan vornehmen und versuchen, die letzte Unsicherheit dieses Rätsels zu lösen, das ihr nicht mehr aus dem Kopf ging, seit sie die Niederschrift in Gemmas Laptop gefunden hatte.
    Hull, Mittwochnachmittag
    In der Ferne hörte man Schießen, ein immer wieder kurz aussetzendes Maschinengewehrfeuer. Dies war das Hintergrundgeräusch ihres täglichen Lebens geworden, es war weit weg, aber an den Blicken, die die Menschen sich zuwarfen, merkte man, dass es näher kam. In den Augen der Leute, die jahrelang als Nachbarn, ja, Freunde zusammengelebt hatten, standen plötzlich Misstrauen, Angst und Hass. Das Geschützfeuer ging wieder los, laut, nah, direkt draußen vor der Tür, und sie schreckte hoch, griff nach ihrem Mantel, sah sich nach Krischa und ihrer Mutter um, während ihr am ganzen Körper der Angstschweiß ausbrach.
    Das matte Licht eines Winternachmittags fiel durch die vorgezogenen Vorhänge. Die Couch fühlte sich klumpig an, die Polster waren beim Schlafen verrutscht. Es war kalt, denn der Gasofen war abgeschaltet. Im Zimmer nebenan ging das Klappern der Schreibmaschine weiter. Anna schloss die Augen und wartete, bis das heftige Herzklopfen wieder in den natürlichen Rhythmus übergegangen war.
    Sie saß auf der Couch und zog den Mantel fester um sich, und weil es so kalt war, nahm sie die Decke, die auf den Boden gefallen war, und hängte sie sich um die Schultern. Als sie die letzten paar Tage langsam an sich vorbeiziehen ließ, konnte sie zum ersten Mal daran denken, ohne von panischer Angst getrieben zu werden, als läge die einzige Hoffnung auf Sicherheit im Weglaufen. Sie verdrängte das Bild der Frau in der Badewanne. Sie hatte zu viele Bilder toter Menschen im Kopf. Sie hatte geglaubt, Angel hätte sie gefunden und die tote Frau dort hingelegt, um ihr zu zeigen, was ihr bevorstand, und er hätte die Karte dagelassen, damit sie es auch bestimmt verstand. Aber … was ihr im Moment der Panik klar gewesen war, ergab jetzt keinen Sinn mehr. Für so etwas war sie nicht wichtig genug. Wenn Angel sie gefunden hätte, wäre sie schon tot. Er würde sich nicht die Mühe machen, sie zu warnen.
    Angel war tatsächlich da gewesen und hatte seine Karte hinterlassen. Aber vielleicht wusste er nicht, dass Anna auch dort gewesen war. Wegzulaufen war richtig gewesen. Er hätte jederzeit wiederkommen können. Sie stellte sich vor, wie er in diesen schmalen, leeren Korridoren auf sie wartete, und ihr Magen rebellierte. Sie hatte auch Recht gehabt, sich von ihrem Zimmer fern zu halten. Jemand war eingebrochen und hatte ihren Pass und ihr Visum gestohlen, jemand, der auf sie gewartet hatte. Es musste Angel gewesen sein. Ob Mrs. Fry ihn kannte? Hatte sie ihm erzählt, dass Anna geflohen war, und war Angel gekommen, um sie zu suchen?
    Sie hörte Schritte, und die Tür hinter ihr öffnete sich. Sie sprang auf, drehte sich um. Nasim stand da, runzelte missbilligend die Stirn und hielt eine dampfende Tasse in der Hand. »Tee«, sagte sie mit ihrem harten, abgehackten Akzent und drückte Anna die warme Tasse in die Hand. »Trink.«
    Es war wieder eine Tasse mit starkem Milchtee, heiß und süß, und Anna spürte, wie er sie wärmte und wie beim Trinken ihre Kraft zurückkehrte. Sie sah die Frau an, die sie ohne zu lächeln beobachtete. Als sie ausgetrunken hatte, nickte Nasim Anna zu und gab ihr dann ein Bündel. Anna sah, dass es ein Handtuch und Bluejeans, Socken, ein T-Shirt und ein Pullover waren, alles gebraucht und verwaschen, aber sauber. Nasim sah sie einen Augenblick an, dann machte sie ihr ein Zeichen, sie solle ihr folgen. Sie führte Anna einen Gang entlang und durch die hintere Tür in einen Hof. Es war dunkel, und die hohen Wände des Nachbarhauses verdeckten den Himmel. Der bröckelige Asphalt war von weichem Moos überdeckt, und über ihr wuchs ein Farn aus der Wand heraus. Auf der anderen Seite des Hofs war ein kleiner Schuppen, und Nasim nahm einen Schlüssel, schloss auf und bedeutete Anna, sie solle hineingehen.
    Drinnen war eine Toilette und ein kleines Waschbecken. Die Backsteinwände waren weiß gekalkt, und der Boden war aus Beton. Es roch leicht nach einem Desinfektionsmittel. Ohne

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