Nachtfalter
behalten und Ihnen persönlich überreichen, um Ihnen die peinliche Situation zu ersparen.«
»Vielen Dank. Das weiß ich zu schätzen.«
Ihm ist immer noch nicht bewußt, daß ich auf seine Wertschätzung pfeife. »Im Gegenzug hoffte ich, Sie würden mich über Ihre Beziehungen zu Kalia und Koustas aufklären.«
»Ich habe Ihnen erzählt, was ich weiß. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Wie Sie meinen.«
Ich reiche ihm meine Hand nicht, denn ich lege keinen gesteigerten Wert auf seinen Händedruck. Ich bin schon bei der Tür angelangt, als hinter mir »Herr Kommissar!« ertönt.
»Ist das die einzige?« fragt er und deutet auf die Aufnahme.
»Ja, sonst gibt es keine, Sie haben mein Wort.«
»Und besten Dank noch mal. Von der jungen Frau habe ich nichts gewußt, das habe ich erst von Ihnen erfahren«, setzt er hinzu.
Eigentlich müßte ich eine Spermaprobe verlangen, um sie mit den in Kalias Vagina festgestellten Spuren zu vergleichen. Doch das geht nicht, denn Sperma fällt unter den Schutz der parlamentarischen Immunität.
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I ch frage mich, ob ich geschickt genug vorgegangen bin. Das Problem ist, daß ich alles in allem nur zwei Argumente in der Hand hatte: die Fotografie und die Seite aus Kalias Adreßbuch. Mir fehlte der entscheidende Beweis, denn mit der Meinungsumfrage habe ich geblufft. Wenn der Exminister nun reagiert, gibt er sich dadurch möglicherweise eine Blöße. Denn ich bin sicher, daß er am Abend von Kalias Tod in ihrer Wohnung war. Die Erklärung des diensthabenden Beamten, daß es ein anderer Junkie gewesen sein könnte, der in Panik geriet, überzeugt mich nicht. Kein unter Drogen stehender Fixer denkt daran, seine Fingerabdrücke abzuwischen und seine Fotografie aus dem Rahmen zu entfernen. Der stolpert Hals über Kopf davon, rennt gegen Türen und wirft Möbelstücke um. Nur ein klarer Kopf, der sich die Folgen ausrechnet, löscht nacheinander alle Spuren. Und den klaren Kopf hatte der Exminister und nicht irgendein Junkie.
Verkehren. Das Wörterbuch von Liddell-Scott führt drei verschiedene Bedeutungen an:
Verkehren – 1. als öffentliches Verkehrsmittel regelmäßig auf einer Strecke fahren, 2. a) mit jmdm. Kontakt pflegen; sich regelmäßig mit jmdm. treffen, sich schreiben usw. b) bei jmdm. irgendwo regelmäßig zu Gast sein; regelmäßig ein Lokal o. ä. besuchen, c) (verhüll.) Geschlechtsverkehr mit jmdm. haben, 3. a) etw. in das Gegenteil verwandeln, es völlig verändern [so daß es gerade in der entgegengesetzten Richtung wirkt], etw. verdrehen, wenden, falsch darstellen od. wiedergeben, b) sich ins Gegenteil verwandeln [u. gerade in der entgegengesetzten Richtung wirken].
In unserem Fall trifft die verhüllende Bedeutung von ›verkehren‹ zu. Mit Sicherheit verkehrte der Exminister mit Kalia nicht brieflich oder rein freundschaftlich, er verkehrte auch nicht nur im Rembetiko, sondern auch geschlechtlich.
Im Bedeutungswörterbuch des gesamten hippokratischen Wortschatzes wird nur eine einzige Bedeutung angeführt: verkehren = koitieren, beiwohnen, der Fleischeslust frönen.
An diesem Beispiel bleibe ich hängen, Hippokrates läßt alle anderen Bedeutungen unberücksichtigt und stellt die leibliche Befriedigung in den Vordergrund. Damit erweist sich der Minister nicht als Staatsdiener, sondern als Sklave seines eigenen Vorteils. Verkehrte Welt, würde Hippokrates sagen, der nicht nur ein guter Arzt, sondern auch ein treffsicherer Prophet war.
Ich strecke mich, die Wörterbücher rings verstreut, auf dem Bett aus und entspanne mich. Aber meine Gedanken kommen vom Exminister nicht los. Ich frage mich, was er als nächstes unternehmen wird. Es wäre naheliegend, daß er sich mit der Arvanitaki in Verbindung setzt und sie auffordert, die Daten der Meinungsumfragen verschwinden zu lassen. Wäre Petroulias noch am Leben, würde er sich wahrscheinlich an ihn wenden. Die Karamitri wird ihm nicht bekannt sein, da Koustas sie als eiserne Reserve zurückbehalten hatte. Demzufolge wird er sich aus eigener Kraft reinwaschen wollen und sich dadurch in Schwierigkeiten bringen. Denn sobald er sich bemüht, die Daten verschwinden zu lassen, wird klar, daß er von den gefälschten Meinungsumfragen wußte und Koustas für seinen hohen Beliebtheitsgrad etwas schuldig war.
Ich könnte die Leitungen seines Büros und sein Privattelefon überwachen lassen. Er wird sich hüten, persönlich bei der Arvanitaki vorzusprechen, sondern telefonisch vorgehen. Doch da ich erst eine
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