Nachtfalter
nacheinander. Auf dreien davon sieht man ihn in der Erde verscharrt, so wie wir ihn vorgefunden haben. Auf den übrigen Fotografien ist er gesäubert, geschniegelt und gestriegelt und wirkt nicht älter als fünfunddreißig. Sein Körper ist kräftig und durchtrainiert, und sein Gesicht sieht selbst jetzt noch vorteilhaft aus, obgleich sich seine Haut in Pergament verwandelt hat, das in allen Farbtönen von Graugrün über Hellgrün bis Dunkelbraun schimmert – die reinste Reality Show.
Ich beiße in mein Croissant und nehme den Hörer ab, um Markidis anzurufen. Sein »Ja« hört sich an wie immer: als hätte ich ihn aus dem Schlaf gerissen, noch bevor er seinen ersten Schluck Kaffee trinken konnte.
»Wann kann ich Ihren Bericht sehen?« frage ich.
»Bis Mittag habe ich ihn im Kasten, aber ich kann Ihnen schon vorab das Ergebnis mitteilen. Viel ist es nicht.«
»Schießen Sie los.«
»Zunächst einmal ist es unmöglich, mit absoluter Sicherheit den Zeitpunkt des Todes festzustellen. Aber Sie sind ein Glückspilz, unter uns gesagt.« Das sagt er, als hätte ich einen Haupttreffer im Lotto.
»Warum?«
»Weil man ihn auf einer Insel verscharrt hat. Man hat seine Fingerspitzen unkenntlich gemacht, aber nicht berücksichtigt, daß der Wind und die Feuchtigkeit dazu beitragen würden, den Körper in gutem Zustand zu erhalten. Das erleichtert die Identifizierung. Meiner Einschätzung nach muß er um die zweieinhalb bis drei Monate in der Erde gelegen haben.«
Das bedeutet, daß er im Zeitraum zwischen Mitte und Ende Juli umgebracht wurde.
»Wie hat man ihn getötet?«
»Hier liegt der Hund begraben. Es gibt keine Spuren einer Mordwaffe oder eines Gegenstandes, mit dem er getötet wurde. Kein Messer, keine Rasierklinge, nicht einmal ein spitzer Stein, mit dem ihm der Schädel eingeschlagen wurde, rein gar nichts. Die einzigen an seinem Körper feststellbaren Spuren sind Einrisse der Bänder des zweiten Halswirbels sowie eine Verschiebung der Bandscheiben zwischen den Wirbeln. Das läßt den Schluß zu, daß ihm das Genick gebrochen wurde.«
»Hat er deswegen Kratzer am Hals?«
»Nein, das sind Kampfspuren.«
Ich hatte Anita also völlig falsch eingeschätzt. Ich hielt sie für eine hirnverbrannte Fixerin, dabei war ihre gerichtsmedizinische Diagnose völlig korrekt.
»Wie Sie an den Fotografien erkennen können, war sein Körper durchtrainiert, er hat sich ganz schön zur Wehr gesetzt«, fährt Markidis fort. »An den Armen weist er dieselben Spuren auf. Sie haben sich gut erhalten, weil seine Haut vertrocknet und zu Pergament geworden ist, wie Sie gesehen haben. Das ist das Schöne am Sommer. Da alle Welt halb nackt herumläuft, bleibt jegliche Art von Spuren wunderbar erhalten.«
Er sagt es so, als zähle er diese Tatsache unter die Annehmlichkeiten des Sommers wie das Schwimmen im Meer, das Sonnenbaden und das Schlückchen Ouzo am Strand.
»Wie viele waren es?« frage ich.
Er läßt ein gepreßtes Auflachen hören, das sogleich wieder abbricht. »Auf diese Frage hab ich schon gewartet. Meiner Meinung nach waren sie zu zweit. Der eine hielt seine Arme auf dem Rücken fest, während ihm der andere den Hals umdrehte. Einer allein hätte es schwerlich mit ihm aufnehmen können. Im Befund erläutere ich jeden Punkt ausführlich«, setzt er mit dem Sadismus des Gerichtsmediziners hinzu.
»Die Einzelheiten interessieren mich nicht. Was ich gehört habe, reicht völlig.«
Ich lege den Hörer auf die Gabel und schlürfe noch einen Schluck von meinem Kaffee. Na großartig, wir haben ein unidentifiziertes Mordopfer und zwei unbekannte Täter. Als hätte ich mit Koustas nicht schon genug zu tun, bürdet man mir nun einen weiteren Auftragsmord auf. Denn um einen Raubmord handelt es sich nicht, ausgeschlossen. Kein Raubmörder würde sich die Mühe machen, die Fingerkuppen des Opfers zu versengen und es nackt einzugraben. Ein Raubmörder hätte ihn in eine Schlucht oder über eine Felsklippe ins Meer gestürzt. Jedenfalls muß er auf der Insel irgendwo gewohnt haben, entweder in einem Bed & Breakfast oder in einem der rooms to let , sei es nun mit der jungen Frau oder allein. Folglich müßten sich einige andere außer dem Zirkusphilosophen an ihn erinnern können. Desgleichen auch an seine beiden Mörder. Irgendwo müssen auch sie untergekommen sein. Bis sie ihn aufspürten, mit sich lockten und um die Ecke brachten, dauerte es ein Weilchen, das ließ sich wohl kaum alles an einem einzigen Tag bewerkstelligen.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher