Nachtfalter
nicht so schwierig sein, sie ausfindig zu machen. So viele Männerpaare, die zusammen ein Zimmer nehmen, gibt es doch auf der Insel nicht.«
»Haben Sie eine Ahnung, Herr Kommissar. Im Sommer treten die massenweise auf. Sie flanieren im Hauptort untergehakt oder Hand in Hand, oder sie sonnen sich gemeinsam am Strand. Sie verstehen, was ich meine.«
»Was soll denn das wieder heißen? Daß er zwei Schwuchteln zum Opfer gefallen ist?«
»Was weiß ich denn, heutzutage ist ja alles denkbar.«
11
E ine verspätete Hitzewelle ist überfallartig über die Stadt hereingebrochen. Jedes Jahr setzt die brütende Gluthitze den Athenern auf dieselbe Art und Weise zu. Im Juli und August flüchten sie auf die Inseln und an die Strände, um sich zu erfrischen, obgleich dann in der Stadt meist ein angenehmer Passat weht. Und wenn sie Ende August wieder nach Athen zurückkehren, lauert bereits eine heimtückische Affenhitze auf sie und läßt sie manchmal bis Ende November nicht mehr aus ihren Krallen. Doch da haben sie keine Möglichkeit mehr, die Flucht aus der Stadt zu ergreifen.
Die Blechlawine bewegt sich bis zum Hilton-Hotel noch im Schrittempo, doch hinter dem kleinen Park des Evangelismos-Krankenhauses gerät sie immer mehr ins Stocken. Früher saßen die Athener im Kafenion, spielten Tavli oder reisten in phantastischen Erzählungen um die halbe Welt. Heute hocken sie in ihren Automobilen, die eine Hand am Schalthebel, die andere am Lenkrad, und stecken fest. Alle scheinen an denselben Ort, zum Stadtkern, zu streben: weil dort alles, was das Herz begehrt, zu finden ist, von den öffentlichen Ämtern bis zu den duftenden Müllbergen.
Als ich in meinen Gedanken gerade bei den Abfallhaufen angekommen bin, merke ich, daß sich der Vassilissis-Sofias-Boulevard in Richtung Syntagma-Platz mit Fahrzeugen der Müllabfuhr gefüllt hat. Zunächst waren es nur ein paar, dann wurden ihre Reihen immer dichter, schließlich haben sie alle drei Fahrspuren erobert. Die PKWS stehen eingekeilt dazwischen, kaum zwei schaffen es, bei Grün über die Ampel zu fahren.
»Wo wollen denn all diese Müllwagen hin?« frage ich Vlassopoulos verwundert.
»Keinen blassen Schimmer. Wahrscheinlich haben sie den Streik beendet und sammeln die Müllberge ein.«
Auf der Höhe der Koumbari-Straße kommt der Verkehr vollends zum Erliegen, und die Müllmänner heben ein Hupkonzert in rhythmischem Stakkato an. Ein Verkehrspolizist fragt uns, wohin wir wollen.
»In die Filellinon-Straße«, sagt Vlassopoulos.
»Da haben Sie sich ja den richtigen Zeitpunkt ausgesucht.« Er hebt resigniert die Arme. »Die Angestellten der Müllabfuhr haben einen Demonstrationszug zum Wirtschaftsministerium formiert.«
Vor uns hat sich der ganze Syntagma-Platz, so weit das Auge reicht, in ein wogendes Meer von Müllwagen verwandelt, und unser Einsatzwagen tanzt wie eine Boje auf den Wellen. Neben mir zieht der Fahrer eines Müllwagens sein Mobiltelefon heraus und schildert mit Donnerstimme, die glatt bis zum Plenarsaal des Parlaments reicht, die Lage.
»Wo ich gerade bin? Ich stecke in Höhe des Parlaments fest. So was habt ihr noch nicht gesehen: Wir haben ganz Athen zum Stillstand gebracht! Vom Omonia-Platz bis Ambelokipi kommt keiner an uns vorbei. Wenn der Minister auf unsere Forderungen nicht eingeht, dann erstickt ganz Athen im Müll. Und wenn wir dann die Müllberge abtragen, werden wir ihn gleich mit abservieren.«
Er meint, er werde sich nochmals melden, und beendet das Gespräch. Dann wendet er sich zu mir, bemerkt, daß ich ihn beobachte, und streckt mir sein Mobiltelefon aus dem Wagenfenster entgegen.
»Rufen Sie mal schnell zu Hause an und sagen Sie, daß Sie heute später kommen«, sagt er. »Bis zum Abend rührt sich hier nichts mehr vom Fleck.« Und er schüttelt sich vor Lachen über den gelungenen Witz.
Ich spiele den sanftmütigen Softie und ziehe es vor, den Anblick durch die Windschutzscheibe zu genießen. Denn wenn ich das Maul aufreiße, wirft er mich vielleicht gleich auf die Müllkippe, um mich dann zusammen mit dem Minister abzuservieren.
Ungefähr ein Dutzend Verkehrspolizisten patrouillieren zwischen den Müllmännern. Sie lassen ihre Blicke umherschweifen, halten ein Pläuschchen über ihre Sprechfunkgeräte und üben sich in Untätigkeit. Was sollten sie denn auch unternehmen?
»Wie geht die Sache jetzt weiter?« frage ich den Verkehrspolizisten neben mir.
»So wie immer«, entgegnet er schicksalsergeben. »Die machen gehörig Rabatz,
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