Nachtfalter
gehen.«
Ich rapple mich auf und sage: »Ich habe einen Termin für den 26. ausgemacht.«
Sie starrt mich mit offenem Mund an. Sie kann es nicht fassen. Dann umarmt sie mich stürmisch und drückt mir einen Kuß auf die Wange. »Bravo, mein lieber Kostas! Endlich! Jetzt bin ich beruhigt. Es ist nichts, du wirst sehen. Man verschreibt dir eine Behandlung, und die Beschwerden sind wie weggeblasen. Ich würde dir sogar raten, wenn du dich schon aufraffst, auch gleich Blut- und Harntests und Röntgenaufnahmen machen zu lassen. Dann weißt du, wie es um dich steht.«
»Legst du es darauf an, daß ich meinen Termin wieder absage?« frage ich gereizt.
»Nein, nein«, beruhigt sie mich. »Laß dich einfach nur untersuchen, das reicht für den Anfang. Wenn du den Termin aber absagen solltest, dann bekommst du es mit deiner Tochter zu tun, denn sie hat dich ja dazu gebracht, die Sache endlich in die Hand zu nehmen«, sagt sie, als wolle sie den Kuß von vorhin wieder zurücknehmen.
»Den Termin habe ich wegen euch beiden ausgemacht, im Nerven seid ihr beide gleich gut.«
»Spielt ja keine Rolle«, meint sie lachend. »Hauptsache, du hast dich zu dem Arztbesuch durchgerungen.«
Ich sehe, wie sie mit einem Lächeln, das vom einen Ohr bis zum anderen reicht, aus dem Schlafzimmer geht, und plötzlich kommt mir eine Idee. »Was hältst du davon, heute abend auszugehen und meinen Entschluß zu feiern?« frage ich.
Sie wendet sich ruckartig um und blickt mich verdutzt an. »Was sollen wir feiern? Den Arzttermin?«
»Eher meinen Entschluß, zum Arzt zu gehen.«
»Und wohin wollen wir gehen?«
»In ein französisches Restaurant.«
»Ein französisches? Wie kommst du denn auf einmal darauf? Ich kann an den Fingern einer Hand abzählen, wie oft wir zusammen essen gegangen sind. Und selbst dann setzt du sonst keinen Fuß woandershin als in eine griechische Taverne!«
Sie wird nicht ganz schlau aus meinem Vorschlag, doch ich habe nicht vor, ihr den wahren Grund zu nennen. »Ich bin eben flexibel.«
»Ich sehe schon, der Arztbesuch tut dir bereits im Vorfeld gut«, sagt sie entzückt. »Wann gehen wir?«
»Ich möchte vorher noch die Nachrichten sehen.«
Ich weiß nun, was auf mich zukommt: Sie wird sich nicht entscheiden können, was sie anziehen soll, und sich eine Stunde lang vor dem Spiegel hin und her drehen. Da lasse ich sie lieber mit ihrer Unentschlossenheit allein und gehe ins Wohnzimmer. Die Tagesschau hat noch nicht begonnen. Ich sehe einen Werbespot für ein neues Haarspray und frage mich, ob Niki Kousta wohl die Marktforschung dazu durchgeführt hat. Gerade als die Fanfare der Nachrichten ertönt, klingelt das Telefon, und Katerina ist am Apparat.
»Was gibt’s Neues, Papilein?«
»Alles in Ordnung«, sage ich. »Ich habe einen Termin beim Rheumatologen vereinbart.«
Es folgt eine kurze Stille und dann ein Flüstern. »Ich danke dir.«
»Warum dankst du mir denn?«
»Weil mir ein Stein vom Herzen fällt und ich nicht deinetwegen Hals über Kopf nach Athen kommen muß. Ist Mama nicht zu Hause?«
»Doch, sie ist im Schlafzimmer und zieht sich gerade um. Wir gehen heute auswärts essen.«
Noch eine kurze Pause. »Ich bin neidisch«, sagt sie dann.
»Wieso denn? Weil wir ausgehen?«
»Aber nein. Weil ich nicht bei euch sein kann. Ich habe ganz große Sehnsucht nach euch.«
Wenn sie mir solche Sachen sagt, dann bleiben mir die Worte vor Rührung im Hals stecken. »Auch wir vermissen dich sehr, mein Schatz«, würge ich hervor.
»Ich weiß, aber ich schaffe es nicht, vor Weihnachen noch einmal zu kommen.«
Nach der Rührseligkeit macht sich eine gewisse ohnmächtige Wut in mir breit. Obwohl mir klar ist, daß es jedes Jahr nach demselben Muster abläuft. Wir sehen sie nur zu Weihnachten, zu Ostern und vierzehn Tage in den Sommerferien. Die anderen zwei Wochen wird sie von Panos in Anspruch genommen. Nicht genug damit, daß sie den ganzen Winter zusammen sind, er will auch noch in den Sommerferien mit ihr aufs Land fahren und in Gemüsegärten lustwandeln.
Katerina legt den Hörer auf, und prompt taucht auf dem Bildschirm die Leiche des Unbekannten auf. Seine Gesichtszüge sowie die ausgetrocknete Pergamenthaut seines Körpers sind in der Vergrößerung noch deutlicher zu erkennen. Ein abstoßender Anblick – weshalb man ihn auch intensiv auf die Zuschauer einwirken läßt. Mir kommt das durchaus gelegen. Der Reporter liefert eine ausführliche Beschreibung des Fundortes der Leiche, des Berges und des
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