Nachtfalter
Abmachungen, Verträgen und allgemein allen Schriftstücken. Er fixierte niemals irgend etwas schriftlich. Selbst die Künstler in seinen Nachtlokalen hat er durch mündliche Absprachen unter Vertrag genommen. Sie wußten, daß sie sich auf sein Wort verlassen konnten.«
»Ja, aber er besaß doch so viele Unternehmen. Da fallen doch Rechnungen, Quittungen, Steuerbescheide, ja ganze Buchführungen an …«
»Damit wollte er nichts zu tun haben. Das war die Aufgabe seines Buchhalters. Wollen Sie ihn kennenlernen?«
»Wenn es möglich wäre.« Ich blicke sie verdattert an, als sie den Hörer abhebt und mit einem gewissen Jannis konferiert. »Der Buchhalter Ihres Vaters arbeitet hier?«
»Ja, ich habe ihn weiterempfohlen. Er ist ein gutmütiger und anständiger Junge. Mein Vater kam zu einem vertrauenswürdigen Buchhalter, und Jannis konnte einen Monatslohn mehr nach Hause tragen. So war beiden Seiten geholfen.«
Vielleicht trifft die Bezeichnung ›Junge‹ nicht völlig zu, doch weit daneben liegt sie auch nicht, denn er ist kaum älter als sie selbst. Ein mittelgroßer junger Mann, zurückhaltend und in sich gekehrt. Er bleibt an der Tür stehen und würdigt Vlassopoulos und mich keines Blickes. Seine Augen sind auf die junge Kousta geheftet. Er sieht sie an und schmilzt dahin wie Wachs.
»Jannis«, sagt sie sanft zu ihm, »die Herren sind von der Kriminalpolizei und wollen dir einige Fragen zur Buchführung meines Vaters stellen.«
Ich möchte ihm eine ganze Latte von Fragen stellen, doch lieber nicht in ihrer Gegenwart. Und so beschränke ich mich auf das Nächstliegende. »Das einzige, was ich vorläufig wissen will, sind Konstantinos Koustas’ Bankverbindungen«, sage ich.
Er wendet sich zur Seite und blickt uns zum ersten Mal an, danach wandern seine Augen wieder zur jungen Kousta. Er hüllt sich in Schweigen.
»Hören Sie zu«, sage ich, immer noch ruhig. »Es ist mir ein leichtes herauszufinden, bei welchen Banken Koustas Konten unterhielt, und eine Erlaubnis zu erwirken, sie offenzulegen. Es wäre gut, wenn Sie uns entgegenkommen könnten, damit wir nicht unnötig Zeit verlieren.«
Er beharrt auf seinem Schweigen und blickt nach wie vor die junge Frau an. »Gib ihnen die Kontonummern, Jannis«, sagt sie mit ihrem unschuldigen Lächeln. »Wenn mein Vater Geheimnisse hatte, dann stecken sie sicherlich nicht in seinen Bankkonten.«
»Sie wissen, daß das unter den Datenschutz fällt.« Zum ersten Mal macht er seinen Mund auf.
»Ich sage dir doch, du sollst sie herausgeben.«
Der junge Mann zaudert noch ein wenig, dann sagt er »Einen Augenblick« und geht aus dem Büro.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß er zuverlässig und anständig ist.« Die junge Kousta lächelt voller Befriedigung darüber, daß sie recht behalten hat. »Das Beste für Makis wäre, wenn sein Geld irgendwo fest angelegt wäre und er nur die Zinsen einstreichen würde«, fährt sie fort, als wäre uns Jannis überhaupt nicht dazwischengekommen.
Ich halte mich zurück, meine Meinung zu äußern, daß sowieso alles ausnahmslos fürs Fixen draufgehen wird.
Das Telefon läutet, und die junge Kousta hebt den Hörer ab. »Schreiben Sie bitte mit«, sagt sie.
Ich bedeute Vlassopoulos, seinen Notizblock bereitzuhalten. Sie gibt uns zwei Kontonummern durch, das eine Bankkonto befindet sich bei der National Bank und das andere bei der Handelsbank. Ich spreche ihr meinen Dank aus, und wir machen uns auf den Weg.
Als wir in die Ermou-Straße einbiegen, sehen wir, daß sich der Syntagma-Platz geleert hat. Es ist mittlerweile vier Uhr nachmittags, und unvermutet überfällt mich die geballte Müdigkeit der letzten durchgearbeiteten Nacht.
»Fahr mich nach Hause«, sage ich zu Vlassopoulos. »Heute können wir ohnehin nichts mehr tun.«
12
I ch schrecke aus dem Schlaf hoch und sehe, wie sich Adriani über mich beugt.
»Was hast du denn?« fragt sie besorgt.
Ich bin der Meinung, es sei frühmorgens, und schnelle aus dem Bett, doch als ich mich umsehe, wird mir klar, daß ich in voller Montur und mit dem Dimitrakos-Wörterbuch im Arm eingeschlafen bin.
»Wie spät ist es?«
»Halb acht. Du schläfst seit drei Stunden. Bist du krank?«
»Natürlich nicht. Wie kommst du darauf?«
»Du schläfst sonst nie am frühen Abend, deshalb.«
»Gestern abend bin ich spät nach Hause gekommen, und heute war ich den ganzen Tag unterwegs.«
»Jetzt machst du also auch noch die Nächte durch, statt dich zu schonen und endlich einmal zum Arzt zu
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