Nachtfalter
umklammert hat. Und Fräulein Chrysanthi warf uns ab und zu das Wort »Gotteslästerer« oder »blasphemisches Pack« an den Kopf, während Adriani sich ganz auf ihre Rolle als Rufer in der Wüste einzustimmen scheint.
»Sotiris hat mir gesagt, daß du angerufen hast, aber ich hatte alle Hände voll zu tun und keine Zeit, um dich zurückzurufen.«
Ich versuche sie durch diese Aussage zu einem Wutausbruch oder irgendeiner anderen Reaktion zu provozieren, doch nichts passiert. Sie ändert ihre Haltung nicht im geringsten. Ich muß zugeben, daß ihre Taktik aufgeht und mich prompt aus dem Konzept bringt. Ich war davon ausgegangen, daß sie wild herumschreien würde, und hatte vorgehabt, mich zunächst mit Rechtfertigungen, dann mit Schmeicheleien und zuletzt mit unflätigen Beschimpfungen zu verteidigen. Doch ihr Schweigen bringt meinen ganzen Plan durcheinander. Ich lasse mich in den Sessel gegenüber fallen.
»Wann machst du mal wieder gefüllte Tomaten? Die haben wir schon lange nicht mehr gegessen, und ich habe Lust darauf«, sage ich.
Normalerweise würde Adriani anstelle einer Antwort Gift und Galle spucken. Eine Reaktion, die in Fräulein Chrysanthis Sinn gewesen wäre. Doch nichts passiert. Sie ist entschlossen, sich blind und taubstumm zu stellen.
Ich stehe vor einem Dilemma. Wenn ich weggehe, sieht es so aus, als gestehe ich meine Niederlage ein. Wenn ich jedoch meine Position beibehalte, dann zwinge ich sie dazu, ihren Blick bis zur Genickstarre auf den Bildschirm zu richten. Ich entschließe mich für die zweite Lösung und setze mich hin, um die Sportmeldungen zu verfolgen, die plötzlich für mich an Bedeutung gewonnen haben, da Nasioulis auftritt und über Petroulias zu berichten beginnt. Er käut unsere morgendliche Unterredung wieder und berichtet, daß die Polizei zwar die Möglichkeit untersuche, Petroulias könne aufgrund der gekauften Spielresultate ermordet worden sein, diese Auffassung aber als nicht sehr glaubhaft einstufe. Er weiß nicht, daß er mich damit in Schwierigkeiten bringt, denn vor knapp zwei Stunden habe ich Gikas erklärt, ich hielte mich sklavisch an die vereinbarte Vorgehensweise. Und falls er jetzt die Sendung sieht, stehe ich als Lügner da.
»Seit wann interessiert ihr euch für die Sportnachrichten?«
Es ist Katerinas Stimme. Ich wende mich um und blicke sie an. Sie ist schick angezogen und dezent geschminkt, sie hat augenscheinlich eine Verabredung.
»Gehst du aus?« frage ich.
»Ja, ich gehe ins Kino.«
»Na, dann grüß mal meinen Arzt schön von mir.«
Ich werfe es leichthin in die Runde, den Blick auf die Mattscheibe geheftet, als redete ich von der allernatürlichsten Sache der Welt. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie Katerina zur Salzsäule erstarrt. Ich wartete schon die ganze Zeit ungeduldig darauf, ihr kräftig meine Meinung zu sagen, doch schiebe ich es noch ein wenig auf, um mich an Adrianis Anblick zu weiden. Während sie mich vorhin demonstrativ ignorierte, fährt sie nunmehr abrupt herum und heftet ihren Blick forschend auf mich. Angsterfüllte Unruhe und eine ganze Reihe von Fragen zeichnen sich darin ab.
»Ich habe heute Panos getroffen«, sage ich ganz sanft.
Adriani ringt nach Worten, die aber nicht über ihre Lippen kommen wollen, dann dreht sie sich um und starrt verzweifelt auf ihre Tochter, die sich als erste wieder in der Gewalt hat.
»Wo hast du ihn getroffen?« fragt sie gefaßt.
»Er hat vor dem Präsidium auf mich gewartet. Deshalb habe ich mich auch verspätet.«
Letzteres ist an Adriani gerichtet, die nun nicht mehr abweisend, sondern besorgt dreinschaut. Zu meiner großen Freude. Denn zwei Bedürfnisse verfolgen den Menschen von der Wiege bis zur Bahre: die körperliche Notdurft und die Rachsucht.
»Hab ich dir’s nicht gesagt?!« meint die Tochter zur Mutter. »Er ist ein Milchbübchen, das mir am Rockzipfel hängt. Ausgerechnet bei meinem Vater hat er sich ausgeweint.«
»Was hätte der Junge denn sonst tun sollen? Du versteckst dich doch hinter deiner Mutter und läßt ihn nicht an dich heran.«
»Wir haben uns getrennt, basta. Da gibt’s nichts mehr zu reden«, entgegnet sie kurz angebunden.
»Ihr habt euch nicht getrennt, sondern du hast ihn sitzenlassen. Und auch noch per Telefon. Handelt man solche Dinge am Telefon ab? Mensch, Katerina!«
»Ich hab es ihm am Telefon gesagt, damit er mir keine Szene macht.«
»Das hast du ganz richtig vorhergesehen«, sage ich. »Er hat geheult wie ein kleines
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