Nachtfalter
verwaist, und ihre Papiere liegen wohlgeordnet da. Die Tür zu Gikas’ Büro steht offen. Er hat mich zwar zu sich beordert, um mein Anliegen anzuhören, doch er ist der Chef, und er darf sich seinen Ärger zuerst von der Seele reden.
»Seit dem Tag ihrer Verlobung«, sagt er, und sein Finger deutet auf die Wand, die sein Büro von Koulas Vorzimmer trennt, »packt sie um vier Uhr ihre Sachen und löst sich in Luft auf. Heute verschwindet sie früher, um ihren Verlobten zu treffen, morgen, weil sie die Hochzeit vorbereiten muß, und übermorgen, weil sie ein Baby bekommt und in Schwangerschaftsurlaub gehen will. Das hat man davon, wenn man Frauen einstellt.«
Das ist kein guter Anfang, sage ich zu mir selbst. Er ärgert sich über Koula, doch ich werde alles abbekommen, weil ihm das, was ich ihm zu sagen habe, ganz und gar nicht gefallen wird.
Ich fasse meine Unterhaltung mit Kalojirou kurz zusammen. »Ich habe mich an Ihre Hypothese gehalten«, sage ich, um mich ein wenig bei ihm einzuschleimen und seinen Widerstand aufzuweichen. »Wir waren ja der Meinung, Petroulias wurde getötet, weil er sich bestechen ließ. Und da fiel mir Koustas wieder vor die Füße.«
»Glauben Sie, daß die beiden Morde etwas miteinander zu tun haben?«
»Das kann ich wirklich nicht sagen.«
»Jedenfalls weisen die beiden Mordarten keinerlei Ähnlichkeit auf.«
»Ja, aber das muß auch nicht sein, sie können trotzdem vom Motiv her zusammenhängen.«
»Ist mir klar. Darüber brauchen Sie mich nicht zu belehren.« Seine Stimme hört sich streng und gepreßt an. Vorläufig beißt er sich noch an Koula die Zähne aus, doch möglicherweise bin ich schon als nächster dran.
»Wir können es uns nicht leisten, wegen Koustas noch einen Fall zu den unaufgeklärten Morden abzuschieben.«
Meine spitze Bemerkung trifft ihn an seiner Achillesferse und macht ihn mundtot. Er heftet den Blick auf seinen Schreibtisch und denkt nach. Was ein gutes Zeichen ist. ›Sesamkringel nicht berühren‹ stand früher an den Verkaufsständen geschrieben, und genau so hatte er mir den Zugriff zu diesem Fall verboten, doch jetzt begreift er, daß wir uns nicht länger bedeckt halten können. Er bemüht sich bloß um Schadensbegrenzung.
Sein Kopf hebt sich langsam. »Hören Sie mir gut zu«, meint er. »Offiziell rollen wir den Fall Koustas nicht wieder auf. Nur besteht im Zuge der Nachforschungen im Fall des Petroulias-Mordes die Möglichkeit, daß wir unverhofft wieder darauf stoßen. Verstanden?«
»Verstanden.«
»Sollte das eintreten, was ich beileibe nicht hoffe, dann untersuchen wir den Fall Koustas noch mal, aber nur Koustas’ Person und wie er mit Petroulias in Verbindung stand.«
»Verstanden.«
»Folglich bleibt der Fall Koustas weiterhin bei den unaufgeklärten Morden liegen. Und Sie tun keinen Schritt, ohne mich zuerst darüber zu informieren. Verstanden?«
»Verstanden.«
Er versucht mir etwas einzutrichtern, wie der Rechtsanwalt dem Zeugen oder wie die Mama ihrem Söhnchen, wenn sie ihn zum Mitwisser der Lügen machen möchte, die sie später ihrem Mann auftischt.
»Die Empfehlung, die Nachforschungen im Fall Koustas auf Eis zu legen, stammt von höchster Stelle«, sagt er, nun etwas ruhiger.
»Von wie hoher Stelle?«
»Fragen Sie lieber nicht nach. Sie müssen nicht alles wissen. Ich sage es Ihnen nur, damit Sie nicht wieder versuchen, Ihren Kopf durchzusetzen, und sich auf einmal in Teufels Küche wiederfinden.«
Er öffnet seine Schreibtischschublade und zieht ein Blatt Papier hervor, um mir zu verstehen zu geben, daß die Audienz beendet ist.
Was Koustas betrifft, habe ich seinen Standpunkt begriffen, schleierhaft bleibt mir jedoch, was für Papiere er den lieben Tag lang liest. Ich werde den Verdacht nicht los, daß es irgendwelche Schundromane sind, wie Adriani sie liest, und damit ihm keiner auf die Schliche kommt, bringt er sie in Manuskriptform ins Büro.
Bevor ich gehe, erledige ich noch ein letztes Telefonat. Ich rufe in Koustas’ Villa in Glyfada an.
»Ja!« antwortet mir eine erstickte Stimme.
»Frau Kousta hätte ich gerne gesprochen.«
»Die wohnt nicht mehr hier.«
Das erste »Ja« führte mich in die Irre, und ich dachte, der Wachmann des privaten Sicherheitsdienstes wäre am Apparat. Beim zweiten Satz merke ich, daß ich mit Makis spreche.
»Sind Sie es, Makis?« sage ich freundschaftlich. »Hier spricht Kommissar Charitos.«
»Ach ja, der Bulle. Meine Stiefmutter habe ich abgeschüttelt. Sie ist
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