Nachtfalter
»Ich suche mir einen anderen Arzt.«
»Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Andere würden vor Dankbarkeit auf den Knien rutschen, wenn sie einen Arzt in der Familie hätten, und du willst nicht zu ihm gehen?«
Na bitte sehr, jetzt habe ich dank Katerina sogar im Krankenhaus eine Sonderbehandlung erwirkt. Wie es scheint, errät Adriani meine Gedanken, denn sie erhebt sich und kommt auf mich zu. Sie legt die Hand auf meine Schulter.
»Kostas«, sagt sie zärtlich. »Unsere Tochter ist eine erwachsene Frau und nimmt ihr Leben selbst in die Hand. Wir können ihr nur bei ihrer Wahl zur Seite stehen, aber ihr nicht in ihre Angelegenheiten pfuschen.«
Unsere Gedanken sind im Grunde deckungsgleich, mit dem Unterschied, daß sie die Neuigkeiten schon verdaut hat, während sie mir noch frisch im Magen liegen. Andererseits komme ich nicht umhin zuzugeben, daß sie recht hat. Ousounidis verdient mit Sicherheit um die Dreihundertfünfzigtausend im Monat. Dazu kommen die Geldbriefchen, wie Adriani sich ausdrückt, damit kommt er auf eine halbe Million. Wenn Katerina schließlich eine Stelle findet, dann tragen sie zusammen fast achthunderttausend nach Hause, und zusätzlich zweige ich ihnen noch etwas von meiner Rente ab. Trotzdem bin ich nicht begeistert. Vielleicht, weil meine altmodischen Prinzipien davon betroffen sind. Vielleicht auch, weil Panos mir immer auf die Nerven fiel und ich deshalb meinen Frust an ihm ablassen konnte, während mir bei Ousounidis diese Gelegenheit entgeht, da er mir im Grunde sympathisch ist.
»Morgen mache ich dir gefüllte Tomaten«, sagt Adriani mit honigsüßer Stimme.
Das ist das Zeichen, daß wir uns schließlich einig geworden sind. Die gefüllten Tomaten sind zu einer Art Geheimsprache zwischen uns geworden. Nach fünfundzwanzig Jahren Ehe kann es vorkommen, daß wir einander schneiden und unsere Auseinandersetzungen tagelang andauern. Doch jedes Mal, wenn Adriani einen ersten Schritt zur Versöhnung einleiten will, bittet sie mich nicht um Verzeihung oder bricht das Schweigen, sondern bereitet ein Backblech mit gefüllten Tomaten vor und läßt sie auf dem Küchentisch stehen. Als Zeichen dafür, daß wieder alles in Ordnung ist.
Jetzt, wo die Beziehung zwischen Katerina und Ousounidis offiziell abgesegnet ist und sich die Beziehung zwischen Adriani und Charitos wieder normalisiert hat, kann ich mich einem Gedanken zuwenden, der mich seit dem ersten Tag meiner Nachforschungen im Fall Koustas verfolgt.
Ich bin sicher, daß Koustas am Abend des Mordes im Wagen etwas bei sich hatte, das wir nicht finden konnten. Und ich halte es für nahezu gewiß, daß dieses Etwas eine Geldsumme war, die er von einem seiner Bankkonten abgehoben hatte. Ich gehe zum Telefon und rufe Manos Kartalis an, einen Cousin zweiten Grades, der Abteilungsleiter im Finanzministerium ist.
»Manos, ich brauche deine Hilfe«, sage ich nach den einleitenden Floskeln. »Kannst du mir einen gewitzten Steuerprüfer empfehlen?«
»Wozu brauchst du den? Will man dir Steuerhinterziehung anhängen, und versuchst du jetzt, deine Beziehungen spielen zu lassen?« fragt er amüsiert.
Ich bin schon drauf und dran, ihm auf die Nase zu binden, daß er sich, falls er ärztlichen Beistand braucht, getrost an mich wenden könne, denn da hätte ich jetzt Beziehungen, doch ich schlucke die Bemerkung hinunter. »Nein. Ich brauche ihn, weil ich Hilfe in einem Kriminalfall benötige. Ich muß die Buchhaltung einer Fußballmannschaft überprüfen, doch davon habe ich keinen blassen Schimmer.«
Er schweigt kurz. »Wenn es sich um polizeiliche Nachforschungen handelt, mußt du den vorschriftsmäßigen Weg gehen«, meint er reserviert. »Über den Verband der Buchprüfer.«
»Gerade das möchte ich umgehen. Ich möchte unauffällig agieren und brauche einen vertrauenswürdigen Mann als Unterstützung. Ich werde ihn an meiner Seite haben und nicht verlauten lassen, daß er von der Steuerbehörde kommt. Man wird ihn für meinen Assistenten halten.«
»Laß mich drüber nachdenken, damit ich den geeigneten Mann für dich finde. Ich rufe dich morgen in der Dienststelle an.«
Ich lege den Hörer auf die Gabel und gehe in die Küche, um in Erwartung der gefüllten Tomaten einen Teller dicker Hühnerbrühe zu essen.
27
D ie neue Wohnung der Kousta befindet sich im Stadtteil Kifissia in der zweiten Etage eines Wohnhauses in der Skopelou-Straße, zwischen dem Kifissias-Boulevard und der Charilaou-Trikoupi-Straße. Als ich klingle,
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