Nachtflamme: Roman (German Edition)
Speicher in der Bibliothek war es genauso. Ich brauchte gar nichts zu machen, und ich weiß eigentlich auch nicht, was ich tun soll.«
»Denk an Ann«, riet Cal ihr. »Du hast sie gesehen und sie gehört. Denk an sie.«
Quinn stellte sich Ann vor, wie sie sie beim ersten Mal gesehen hatte, mit offenen Haaren, dickem Schwangerschaftsbauch und einem Gesicht, das vor Liebe zu dem Mann, mit dem sie lebte, leuchtete. Als sie sie zum zweiten Mal gesehen hatte, war sie wieder schlank gewesen, züchtig gekleidet und hatte älter und trauriger gewirkt.
Sie ging über das harte Wintergras, über Kies, über Trittsteine. Die Luft war kühl und frisch auf ihren Wangen, und es roch nach Tieren und Erde. Sie hielt Cals Hand fest umklammert, weil sie wusste – und spürte -, dass er sie mit all seinen Fähigkeiten unterstützte.
»Ich komme einfach nicht dorthin. Ständig sehe ich dich«, sagte sie leise lachend zu Cal. »Dich als kleinen Jungen, als du noch deine Brille brauchtest. Du warst ja süß. Ich sehe euch alle drei, und dann noch einen kleineren Jungen und ein Kleinkind, ein kleines Mädchen. Sie ist niedlich.«
»Du musst tiefer gehen.« Cal drückte ihre Hand. »Ich bin bei dir.«
»Vielleicht ist das ja das Problem. Ich nehme vielleicht Bilder und Dinge auf, an die du dich erinnerst.« Sie entzog ihm ihre Hand. »Ich glaube, ich muss es alleine versuchen. Gib mir ein bisschen Raum. Ist das okay für alle? Ich brauche ein bisschen Raum.«
Sie drehte sich um und ging am Haus entlang. Es war so solide, dachte sie, und einfach schön, wie Cybil gesagt hatte. Stein, Holz und Glas. In den Blumenbeeten waren schon die ersten grünen Spitzen zu sehen, wahrscheinlich Narzissen, Tulpen und Hyazinthen.
Starke, alte Bäume boten Schatten, damit die Blumen, die die pralle Sonne nicht vertrugen, gedeihen konnten.
Sie roch Rauch, stellte sie fest. Anscheinend gab es im Haus Feuerstellen. Ja, natürlich. In welchem alten Farmhaus gab es die nicht? Einen gemütlichen Kamin, in dem die Flammen tanzten und vor dessen Wärme man sich abends setzen konnte.
Sie saß in einem Raum, das vom Kaminfeuer und dem Schein einer einzelnen Talgkerze erhellt wurde. Sie weinte nicht, obwohl ihr Herz von Tränen überschwemmt war. Sorgfältig schrieb sie mit Feder und Tinte in ihr Tagebuch.
Unsere Söhne sind acht Monate alt. Sie sind wunderschön, und sie sind gesund. Ich sehe dich in ihnen, Geliebter. Ich sehe dich in ihren Augen, und es tröstet mich und macht mich traurig zugleich. Mir geht es gut. Meine Kusine und ihr Mann sind über die Maßen freundlich. Wir sind sicherlich eine Last für sie, aber wir werden nie so behandelt. In den Wochen vor und nach der Geburt unserer Söhne konnte ich nur wenig tun, um meiner Kusine zu helfen. Und doch hat sie sich nie beklagt. Auch jetzt kann ich, weil ich mich um die Kinder kümmern muss, nicht so viel tun, wie ich möchte, um mich ihr und Cousin Fletcher dankbar zu erweisen.
Ich flicke. Honor und ich machen Seife und Kerzen, die Fletcher dann tauschen kann.
Ich möchte eigentlich etwas anderes schreiben, aber es fällt mir so schwer, meine Worte diesem Papier anzuvertrauen. Meine Kusine hat mir erzählt, dass die junge Hester Deale sich im Teich von Hawkins Wood ertränkt hat und ihre kleine Tochter als Waise zurücklässt. Sie hat dich in jener Nacht beschuldigt, du hattest es vorausgesehen. Sie hat auch mich beschuldigt. Wir wissen, dass sie es nicht aus freiem Willen getan hat, so wenig wie sie ihr mutterloses Kind aus freiem Willen empfangen hat.
Die Bestie ist in dem Kind, Giles. Du hast mir immer wieder gesagt, dass das, was du tun würdest, das Blut reinigen und die Ordnung wiederherstellen würde. Dieses Opfer, das du gebracht hast, und ich und unsere Kinder mit dir, war notwendig. Und doch fürchte ich in Nächten wie dieser, wenn ich so alleine bin und mein Herz voller Kummer ist für ein Mädchen, das ich kannte und das nun verloren ist, dass es nicht ausreicht. Ich beklage, dass du dich für nichts geopfert hast und dass unsere Kinder ihren Vater nie sehen und seinen Kuss nie spüren werden.
Ich bete um die Kraft und den Mut, die du immer in mir gesehen hast. Ich will beten, dass sie zu mir zurückkehren, wenn die Sonne aufgeht. Jedoch heute Nacht, in der Dunkelheit, kann ich nur eine Frau sein, die sich nach ihrer Liebe sehnt.
Sie schloss das Buch, als einer der Säuglinge zu schreien begann und seine Brüder weckte, die sofort in sein Geschrei einstimmten. Sie stand
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