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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Soriciden neben sich, die schrecklichen roten Zähne gefletscht, und er wusste, was jetzt gerade geschah. Entsetzt stellte er sich vor, wie der giftige Speichel der Kreatur in ihn hineinsickerte.
    Verzweifelt versuchte er, die Wunde sauber zu lecken, doch sie befand sich zu weit unten an seiner Flanke, und er kam nicht richtig an sie heran. Er musste weiter, nach draußen gelangen, doch langsam wurde ihm übel. Je mehr er sich anstrengte, desto schwächer fühlte er sich. Er konnte nicht einmal die Kraft aufbringen, Sylph zu rufen, die sich schon ein ordentliches Stück über ihm befand.
    Eine fürchterliche Taubheit kroch sein Rückgrat entlang, Wirbel für Wirbel, Beinmuskeln, Magen, Brust, Arme und Schultern verkrampften sich. Die Krallen seiner Flügel zogen sich unwillkürlich zusammen und drückten sich tiefer in das Holz, und er konnte sie nicht mehr lösen, um einen weiteren Schritt zu machen. Steif hing sein Körper an der Wand.
    Sogar seine Augen waren gelähmt. Er konnte lediglich, ohne zu blinzeln, auf den vorrückenden Soricid starren und dahinter auf den Schwarm, der Sol auffraß. Ganz kurz sah er einen freigelegten Beinknochen weiß aufblitzen, dann schlossen sich die Soriciden wieder darüber.
    Dämmers Lunge füllte und leerte sich in rasendem Wechsel und das Herz flatterte ihm in der Brust. So würde es auch ihm ergehen. Er wollte schreien, ausschlagen, doch das Gift des Soriciden ließ das nicht zu. Er konnte nichts tun, als seinem nahenden Tod entgegenzusehen.
    Der Soricid stieß eine Reihe abgehackter Schreie aus, und plötzlich kamen noch andere, die zum Fressen eingeladen worden waren. Von oben hörte er, wie Sylph immer wieder seinen Namen rief, und er wollte ihr sagen, dass sie schnell nach draußen verschwinden solle, doch seine Kehle war wie zugeschnürt und ließ ihm kaum noch Luft zum Atmen. Er hoffte, er würde das Bewusstsein verlieren, bevor sie angriffen.
    »Weg von ihm! Haut ab da!«, hörte er seine Schwester kreischen. Er konnte sie nicht sehen, spürte aber ihr Aufbäumen hinter sich, als sie versuchte, ihn zu schützen.
    Heftiges Kratzen kam von außen, das Geräusch von Krallen, die sich in Rinde gruben.
    Plötzlich wurde ein Loch in die Wand gerissen, kaum mehr als eine Flügellänge von ihm entfernt. Ein Paar Pfoten mit Krallen wurde hereingestoßen und rissen noch mehr Holz und Rinde ab. Die Soriciden stoben auseinander. Nun war das Loch riesig. Mondlicht strömte kurz in die Höhle und wurde dann wieder ausgeschlossen, als der Kopf eines Hyaenodons mit aufgerissenem Maul hereintauchte.
    Hilflos sah Dämmer, wie die Kiefer an ihm vorbeischossen, ihn streiften, als sie zwei Soriciden packten. Den kleinen Geschöpfen gelang es noch, Oberkörper und Hals zu drehen, und das Hyaenodon einige Male seitlich in die Schnauze zu beißen, doch dann nahm das Tier sie einfach zwischen die Zähne, biss sie entzwei und zermalmte sie.
    Dämmer spürte, wie Sylph mit Krallen und Zähnen an ihm zog und versuchte, ihn in Sicherheit zu bringen.
    »Komm schon Dämmer, beweg dich!«, brüllte sie.
    Das Hyaenodon schob seinen Kopf jetzt noch weiter herein, drehte ihn und sah Dämmer mit baumelnden Flügeln an der Wand hängen. Dämmer hoffte, dass Sylph klug genug war zu fliehen. Er beschwor seine Beine, sich zu bewegen, seine Flügel zu flattern. Nichts.
    Er konnte nicht einmal die Augen schließen.
    Das Maul fuhr auf ihn zu und er starrte direkt in den dunkel glänzenden Schlund. Fell- und Fleischfetzen der Soriciden hingen in den gezackten Zahnreihen. Eine raue Zunge zuckte hungrig hin und her. Plötzlich kippten die Kiefer zur Seite und die Nase des Hyaenodonten stieß gegen ihn, heftig genug, um ihn von der Wand zu schlagen. Hilflos fiel Dämmer auf den Boden. Er konnte immer noch den Kopf des Tiers sehen, doch es griff nicht an. Es war unbeholfen weiter in den Baumstamm hineingerutscht. Seine Zunge hing heraus, ein scheußliches gurgelndes Geräusch drang aus seinem Schlund, und schließlich zeugte nur die mörderische Wärme seines Atems davon, dass es noch am Leben war. Es war gelähmt von den Soriciden, die es verschlungen hatte.
    Im Inneren des Baums kreischte die Heerschar der Soriciden in triumphierender Raserei, warf sich auf den Kopf des Hyaenodons und strömte durch das Loch nach draußen, um von seinem fleischigen Körper Besitz zu ergreifen.
    Dämmers rechtes Bein zuckte heftig. Sein linker Flügel zitterte. Die Wirkung des Gifts ließ nach. Er spürte, wie sich seine Schultern

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