Nachtflügel
Pflanzen zurück – mit einem großen, hellen Fleck an der Seite: Sylph.
»Ich sehe dich!«
Er ließ sich gerade in das hohe Gras sinken, als etwas ihn packte. Er schlug wild um sich, merkte jedoch bald, dass es kein Tier war, das ihn da festhielt. Sein Körper und seine Flügel waren in einem Netz verstrickt. Wie alle Chiropter war er schon durch jede Menge Spinnennetze geflogen, aber keines hatte so klebrige und starke Fäden gehabt wie dieses hier. Gelegentlich aß er auch Spinnen, aber nicht besonders gerne, denn oft waren sie giftig; er war zwar immun gegen das Gift, aber es schmeckte scheußlich. Er kämpfte noch weiter gegen das Netz, doch das nützte ziemlich wenig. Er schwang ein paar Zentimeter über dem Boden hin und her.
»Dämmer?«, hörte er Sylphs Stimme, doch viel weiter entfernt als erwartet. Er hatte sie doch gerade hier rechts von sich gesehen oder etwa nicht?
Kälte kroch ihm durch die Adern.
»Sylph«, rief er, »wo bist du?«
»Ich komme, ich komme«, antwortete sie. »Sprich nur weiter.«
Doch jetzt hatte er viel zu große Angst, um zu sprechen. Er krächzte eine Salve von Tönen hervor und sah dann den verschwommenen Umriss der Gestalt, die er fälschlicherweise für Sylph gehalten hatte. Sie hatte zwar ungefähr ihre Größe, verharrte jedoch vollkommen bewegungslos. Plötzlich rührte sie sich und stellte sich hoch auf acht knochige Beine. Mit erschreckender Geschwindigkeit kroch die größte Spinne, die er je gesehen hatte, auf ihn zu.
Dämmer verdrehte den Hals und kaute hektisch an dem Netz herum. Seine Zähne waren nahezu wirkungslos gegen die festen Fäden. Er schaffte es gerade mal, einen Faden durchzubeißen und dann war die Spinne schon über ihm. Ihr Bauch war gestreift und ungeheuer dick, ihr Gesicht erstaunlich behaart mit vielen runden, dunkel schimmernden Augen. Und Dämmer sah Reißzähne.
Die Spinne schwankte auf ihn zu und er fauchte und drosch wild um sich. Heute Nacht war er bereits einmal gebissen worden, ein weiteres Mal wollte er das nicht. Er schrie, zischte und zeigte die Zähne, versuchte, die Spinne zu überzeugen, dass es besser wäre, sich zurückzuziehen.
In seiner Raserei war er sich nicht sicher, was eigentlich geschah, ob er schon gebissen oder eingewickelt worden war, nur dass die Spinne mit grausamen Absichten um ihn herumschoss. Erst, als er den einen Flügel freibekam und die durchtrennten Fäden des Netzes sah, begriff er.
Die Spinne war dabei, ihn loszuschneiden.
Dämmer hatte ihr Netz zerstört, und sie wollte, dass er verschwand, damit sie weiter ordentliches Futter fangen konnte. Augenblicke später bekam er einen festen Stoß, fiel durch den Nebel nach unten und plumpste auf den Boden.
Sylph tauchte neben ihm auf.
»Was ist denn los?«, rief sie. »Alles in Ordnung?«
»Ich hab mich in einem Spinnennetz verfangen«, keuchte er.
»Also im Ernst, Dämmer.« Jetzt klang sie regelrecht verärgert. »So viel Lärm um ein kleines Netz?«
»Es war riesig, und …«
»Wo? Ich sehe nichts.«
Dämmer blickte auch nach oben, aber inzwischen war der Nebel so dicht, dass er die Spinne und das Netz nicht mehr erkennen konnte.
»Direkt hier über mir! Die Spinne war so groß wie ich. Ihre Reißzähne …«
»So sehr verängstigt siehst du aber nicht aus«, sagte Sylph. »Warum fliehen wir dann nicht?«
»Sie frisst keine Chiropter. Sie hat mich losgeschnitten und rausgestoßen.«
Sie schaute ihn nur an.
»Du glaubst mir doch, oder?«
»Ich glaube allmählich alles. Hast du die anderen gefunden?«
Er erzählte ihr von dem Plan, sich am Giftholzbaum zu treffen. »Aber der Nebel ist sehr dicht«, sagte er besorgt.
»Was ist mit deiner Echosicht?«
»Damit kann ich im Nebel nicht weit sehen, und wenn, dann ist alles verschwommen.«
»Flieg einfach weiter und zeig den Weg von oben.«
»Es ist wirklich ziemlich schlimm, Sylph. Ich hab dich jetzt schon fast nicht gefunden. Ich lass dich nicht noch einmal allein.«
»Also, dann versuchen wir eben, was wir können.«
Er holte Luft. »Ich denke, wir sollten warten, bis der Nebel sich verzogen hat.«
»Hier warte ich auf keine Fall länger«, sagte Sylph, und jetzt sah er erst, wie verängstigt sie war. »Die ganze Zeit, als du weg warst, hab ich Sachen im Gras gehört. Früher oder später wird irgendwas über uns stolpern und uns fressen. Ich will weitergehen. Ich will zu dem Baum.« Sie krabbelte ihm voraus.
»Sylph! Warte!« Sie hielt nicht an, und er merkte, dass mit ihr nicht zu reden
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