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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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mitgenommen, die loyal gegenüber Ikaron und Südwind geblieben waren. Andere Familien hatten mit ansehen müssen, wie ihre Mitglieder von Raubtieren getötet wurden. Dämmer hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, wie klein die Kolonie jetzt war.
    Sols Familie wurde nun von seinem Sohn Taku angeführt. Südwind hatte schnell zwei neue Familien ernannt und für sie Älteste eingesetzt. Dämmer fand nicht, dass die Kolonie dadurch größer wirkte, doch es ließ die Dinge mehr wie früher zu Hause erscheinen, und er konnte verstehen, dass vier Familien und Älteste besser waren als nur zwei.
    Er war allerdings froh, dass Sylph und er immer noch zu Südwinds Familie gehörten. Das gab ihm das Gefühl, näher bei seinen Eltern zu sein. Er und Sylph schliefen in Südwinds Nest, auch wenn es nun etwas voller war, denn eines der kürzlich Geborenen war die Tochter des Anführers. Dämmer war schon wieder Onkel geworden.
    Aber es gab noch eine andere wichtige Veränderung.
    Dämmer hatte die Erlaubnis zu fliegen.
    »Deine Segel haben unsere Leben mehr als einmal gerettet«, hatte Südwind zu ihm gesagt. »Ich weiß keinen Grund, warum du sie nicht voll nutzen solltest.«
    Doch außer mit Sylph hatte er mit niemandem über Chimera gesprochen – und über seine wahre Natur. Er wollte nichts zerstören. Er wollte dazugehören.
    Es war beim Jagen, als er sie wiedersah. Beim Überfliegen der Baumkronen flatterten ihre dunklen Flügel, sie tauchte ab und kurvte, um sich Insekten aus der Luft zu schnappen.
    Es war jetzt zwei Wochen her, seit sie hier eingetroffen waren, und kein Tag war vergangen, an dem Dämmer nicht an Chimera und ihre Kolonie auf der anderen Seite der Hügel gedacht hatte. Jeden Tag hatte er nach ihr Ausschau gehalten und gehofft, dass sie kommen würde, voller Angst, dass sie tatsächlich kommen würde. Allein ihr Anblick überwältigte ihn so, dass er fliehen wollte. Hastig landete er und kauerte sich tief auf einen belaubten Ast.
    Er spähte zwischen den Blättern hindurch. Sie kreiste, als würde sie warten. Was würden Südwind und die anderen denken? Einen nützlichen, missgebildeten Chiropter zu dulden war eine Sache für seine Kolonie – aber ein völlig anderes Wesen? Er hatte Angst davor, wieder aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, aber noch größere Angst hatte er vor seinem überwältigenden Verlangen, zu ihr zu gehen, zu diesem Geschöpf, das genauso war wie er. Er grub seine Krallen in die Rinde und hatte das Gefühl, als müsste er dabei dem Sog der Schwerkraft widerstehen.
    Jetzt hatten auch andere sie gesehen. Als die Chiropter jagend zwischen den Bäumen hin und her glitten, schrien einige vor Überraschung auf, andere zischten erschreckt. Ob sie dachten, Chimera wäre eine Art heimtückischer Vogel? Konnten sie nicht sehen, dass sie so war wie er?
    Als sie dann seinen Namen rief, war Dämmer klar, dass es keinen Sinn hatte, sich länger zu verstecken. Er schob sich auf dem Ast nach außen.
    »Dämmer«, sagte Sylph und landete neben ihm, »ist sie das? Die Fleder?«
    Er nickte.
    »Wirst du mit ihr reden?«
    »Ich denke schon«, sagte er mit schwacher Stimme.
    Er warf sich in die Luft und stieg auf.
    »Du hast es geschafft!«, sagte Chimera und flatterte auf ihn zu. »Du hast sie zu einem neuen Zuhause geführt!«
    »Einige von ihnen«, sagte er. »Nicht alle haben mitkommen wollen.«
    Wie schon zuvor konnte er nicht aufhören, sie anzusehen und über ihre Ähnlichkeit zu staunen.
    »Sind alle sicher herübergekommen?«
    Als er den Kopf schüttelte, murmelte sie mitfühlend: »Zu Fuß muss das schrecklich gewesen sein.«
    Nebeneinander landeten sie auf einem hohen Ast. Weiter unten konnte Dämmer einige Chiropter einschließlich Sylph sehen, die sie beobachteten. Der Abstand zwischen ihm und seiner Schwester machte ihn plötzlich traurig. Er dachte an die Zeit – schon so lange her –, als er die Thermik geritten und aus schwindelerregender Höhe auf sie niedergeblickt hatte. Die Verwirrung und Empörung in ihrem Blick. Doch damals war sie zumindest in der Lage gewesen, ihm zu folgen. Aber gab es auch jetzt eine Möglichkeit, den Abstand zwischen ihnen wieder zu verringern?
    »Fleder-uga hat nach dir gefragt«, sagte Chimera.
    »Wirklich?«
    »Natürlich. Sie möchte dich sprechen. Sie hätte gerne, dass du zu uns kommst.«
    Dämmer sagte nichts.
    »Hast du Angst?«
    »Dies hier ist mein Zuhause«, sagte er fest.
    »Weißt du das ganz genau?«
    »Sie haben mich akzeptiert«,

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