Nachtflügel
Mitglied der Meute, Reißzahn. Keiner hat besser gejagt und härter darum gekämpft, den Pakt zu erfüllen. Kehre zu uns zurück. Kehre zu uns zurück und schwöre der ungesunden Begierde ab.«
»Das werde ich nicht«, sagte er. »Meine Begierden sind natürlich und richtig.«
»Dann kann das hier nicht länger deine Heimat sein.«
»Nicht mit dir als Anführer.« Reißzahn spürte, wie sich seine Muskeln und Sehnen spannten. »Vielleicht bist du ja derjenige, der sich ändern sollte.«
»Nein, Reißzahn, du musst es.«
Reißzahn hob sein linkes Hinterbein, urinierte ausgiebig auf den Boden und markierte damit sein Gebiet.
»Komm von deinem Baum herunter«, sagte er. »Wir wollen sehen, wer für die Führung besser geeignet ist.«
»Das wäre eine armselige Probe, um die Tauglichkeit eines Führers zu bestimmen«, sagte Patriofelis.
Aus den umstehenden Bäumen ließ sich ein Dutzend der stärksten Feliden auf den Boden fallen. Sie umringten Reißzahn, um ihren Anführer zu schützen.
»Geh!«, schrie Patriofelis. »Such dir eine neue Heimat, möglichst weit weg!«
Reißzahn kauerte sich nieder und fletschte knurrend die Zähne. Und für einen Augenblick zögerten die anderen Feliden. Er kannte sie alle. Sie hatten zusammen gespielt, sich geputzt und gejagt, und einzeln war keiner von ihnen ihm gewachsen. Doch sie zögerten nur einen kurzen Moment, dann gingen sie auf ihn los. Er wurde zu Boden geworfen, gekratzt, geschlagen und getreten. Krallen zerfurchten ihm Bauch und Flanken, Zähne schlugen sich in sein Fleisch.
Er wälzte sich und kämpfte, rasend vor Zorn, dass sie so zahlreich waren. Und er hoffte, dass Panthera diese Erniedrigung nicht sah. Ihm war klar, dass er einen solchen Kampf nicht gewinnen konnte. Dann kam er schwankend auf die Beine und raste davon, drehte sich immer wieder um und fauchte und spuckte seine Verfolger an. Sie kamen für einen Kampf nicht dicht genug an ihn heran, rückten ihm aber langsam immer näher, zwangen ihn von der Meute fort.
Als sie dann von ihm abließen und er alleine war, humpelte er mit blutenden Wunden in den Wald. Sein Kopf brannte vor Schmerz und Wut.
Kapitel 8
Teryx
» I karon, ich muss mit dir reden.«
Es war Nova, die, als das Zwielicht schon dunkler geworden war, heruntergelitten kam, um auf dem Schlafplatz seiner Familie zu landen. Dämmer, der sich gerade putzte, blickte auf, dann rüber zu Sylph und zu seinen Eltern. Nova klang sehr ernst.
»Wenn es die Kolonie betrifft«, sagte Ikaron, »sollten wir alleine reden.«
»Es betrifft deinen Sohn«, sagte Nova. »Und er sollte dabei sein.«
Dämmer blickte seinen Vater besorgt an. Was hatte er getan? Er konnte sich allenfalls vorstellen, dass das etwas mit seinem Fliegen zu tun hatte, obwohl er doch so sehr darauf geachtet hatte, abseits von den anderen zu jagen, damit er sie nicht störte. Und er war nie über den Oberen Holm hinaus in das Gebiet der Vögel geflogen.
»Gut«, sagte Ikaron ruhig. »Sag mir, worum es geht.«
»Viele von uns fühlen sich vom Fliegen deines Sohns gestört. Das muss aufhören.«
»Muss?«, sagte Ikaron empört. »Das ist ein Wort, das nur mir zusteht.«
»Es erregt Unruhe und Unzufriedenheit. Die anderen Familien empfinden das als ungesund. Er verhöhnt damit unsere Art. Wir haben nie geflattert. Das liegt nicht in unserer Natur. Er versucht etwas zu sein, das er nicht ist.«
»Er ist mein Sohn«, betonte Ikaron. »Er ist, was er ist.«
Dämmer empfand eine ungeheure Dankbarkeit seinem Vater gegenüber.
»Die Vögel werden das nicht gutheißen, Ikaron.«
»Werden sie das nicht? Ich sehe das nicht als ihre Angelegenheit.«
»Sie werden es nicht mögen, ein Tier in der Luft zu sehen, in der Nähe ihrer Nester, in der Nähe ihrer Schlafplätze.«
»Dämmer hält sich von ihren Sitzplätzen fern. Ich vertraue darauf, dass er das richtig beurteilt.«
»Einige sagen, er sei verflucht.«
»Was?«, rief Dämmer überrascht aus.
Sein Vater blickte ihn an und warnte ihn mit den Augen, still zu sein.
»Sie sagen, er sei von dem fliegenden Saurier verflucht worden, der in unserer Lichtung gestorben ist«, fuhr Nova fort. »Sie sagen, dass der ihn irgendwie angesteckt hat. Das hat ihn verändert und nun fliegt er.«
Wieder verspürte Dämmer den Gestank des letzten Atemzugs des Sauriers um sich herumströmen. Heiße Panik flammte in seiner Brust auf. Das war wie etwas aus seinem Traum. Es war ihm selbst nie so ganz gelungen, den Gedanken zu verbannen, dass der
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