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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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sich neben ihr nieder und begann sich zu putzen. Sie bot nicht an, ihm den Rücken zu kämmen.
    »Weißt du, was mich am meisten aufregt?«, sagte sie. »Wenn ich es gewesen wäre, die fliegen kann, hätte mir Papa das nicht erlaubt.«
    »Wie bitte?«
    »Du weißt genau, dass das stimmt«, sagte sie mit zuckenden Ohren. »Wenn ich das gewesen wäre, hätte er nur wieder etwas darin gesehen, das ich falsch mache.«
    »Sylph, das stimmt nicht. Es wäre genau dasselbe gewesen.«
    Sie drehte sich zu ihm um und Dämmer war erschrocken über die Verachtung in ihren Augen.
    »Denke, was du willst«, sagte sie. »Aber das ändert nichts daran, dass es stimmt.«
    Sie glitt in die Lichtung hinaus.
    Dämmer blickte ihr hinterher, erst verletzt, dann ärgerlich. Sie war schlicht und ergreifend eifersüchtig.
    Doch das, was sie gesagt hatte, ging ihm den ganzen Nachmittag nicht aus dem Sinn, und er fragte sich, ob etwas Wahres dran war. Wäre sein Vater mit Sylph so überraschend großzügig gewesen? Machte sein Vater speziell für ihn eine besondere Ausnahme?
    Wenn er durch die Lichtung flog, starrte ihn jeder an. Die Blicke waren nicht alle nur freundlich. Auch wenn manche Augen groß vor Verwunderung waren, so hatten andere sie doch argwöhnisch geschlossen. Er mochte es nicht, wenn so viele Augen auf ihn gerichtet waren. Das machte ihn verlegen. Sylph wäre da anders gewesen, sie hätte die ganze Aufmerksamkeit genossen. Es wäre unmöglich gewesen, sie aus der Luft zu bekommen.
    »Geh mir aus dem Weg!«, schnauzte ein Chiropter, als Dämmer steil aufstieg, um eine Florfliege zu verfolgen.
    »Entschuldigung«, sagte Dämmer und schwenkte zur Seite, bevor er nach oben schoss, um seine Beute abzufangen.
    »Das war meine!«, rief sein Bruder Südwind ärgerlich.
    »Entschuldigung«, sagte Dämmer. »Ich hab dich nicht gesehen.«
    »Dann pass besser auf! Und überhaupt, du kannst die Beute nicht von unten fangen. So geht das nicht. Damit stiehlst du jemand anderem das Essen. Arbeite von oben, wie wir alle.«
    Dämmer entschuldigte sich noch einmal, doch er hatte bestimmt nicht die Absicht, Beute nur von oben zu schnappen. Was würde das Fliegen sonst für einen Sinn machen? Allerdings konnte er auch verstehen, wie aufreizend es sein musste, wenn einem ständig die Insekten von einem, der von unten kam, weggeschnappt wurden.
    Vielleicht sollte er sich seine Nahrung außerhalb des eigentlichen Hauptjagdgebiets suchen. Da war es viel weniger belebt und er wäre nicht ständig jemandem im Weg. Er seufzte. Sylph war schon böse auf ihn, und wenn er nicht ganz besonders vorsichtig war, würde sie nicht die Einzige in der Kolonie bleiben.
    In der Nacht wachte er von den leisen Stimmen seiner Eltern auf. Sie waren auf dem Ast ein Stück nach außen gerückt, doch Dämmer konnte sie klar verstehen, wenn er die Ohren gut spitzte. Sylph neben ihm schlief tief. Sein Magen prickelte: Wenn seine Eltern sich mitten in der Nacht zurückzogen, um sich alleine zu unterhalten, dann musste es sich um etwas Wichtiges handeln.
    »Du weißt, was mit ihm damals auf dem Festland geschehen wäre?«, fragte seine Mutter.
    »Das weiß ich sehr gut. Die Kolonie hätte ihn ausgestoßen.«
    »Oder ihn getötet«, fügte seine Mutter hinzu.
    Dämmer wurde ganz kalt vor Angst. Sie sprachen über ihn! Er befürchtete, die Eltern könnten sein nervöses Atmen hören.
    »Deshalb habe ich der Kolonie deutlich gezeigt, dass ich ihn ganz und gar akzeptiere«, sagte sein Vater. »Wenn sie merken, dass er die Anerkennung des Anführers hat, werden sie ihn auch anerkennen. Wir müssen ihn schützen, Mistral.«
    »Bei unseren Erstgeborenen wärst du nicht so duldsam gewesen. Du hättest es ihnen verboten.«
    Ikaron klang belustigt. »Vielleicht, aber die Jahre voll Frieden und Überfluss haben mich sanfter werden lassen. Und außerdem ist das wirklich eine erstaunliche Sache, Mistral. Das musst du zugeben.«
    »Andere werden das nicht so freundlich bewerten«, antwortete seine Mutter. »Einige dürften neidisch sein, die meisten aber werden ihn einfach als Missgeburt ansehen.« Dämmer hörte, wie seine Mutter seufzte. »Er wird Schwierigkeiten haben, eine Gefährtin zu finden.«
    Dämmer entspannte sich ein bisschen. Machte sich seine Mutter nur darüber Sorgen? Er war nicht im Geringsten beunruhigt. Die meisten Chiropter fanden ihre Gefährtin erst in ihrem zweiten oder dritten Jahr. Außerdem hatte er daran gar kein Interesse. Das wäre keine solche Tragödie, wenn er

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