Nachtflügel
aus, die Dämmer gesehen hatte, wenn sein Vater sich mit Nova stritt oder Sylph anschnauzte. Dämmer fühlte sich immer kleiner werden.
»Ich glaube nicht …«, begann er zaghaft.
»Wer weiß denn, ob uns die Vögel nicht von der Insel vergraulen wollen?«
Dämmer fühlte sich gedemütigt. So hatte er die Dinge noch nie betrachtet.
»Ich hätte mehr von dir erwartet«, sagte sein Vater jetzt freundlicher. »Vögel sind gewohnheitsmäßige Lügner.«
Dämmer schluckte. »Bei den Saurierknochen hat er nicht gelogen.«
Ikarons Augen flammten auf, und Dämmer zuckte zusammen, weil er befürchtete, er würde einen Biss abkriegen. Doch dann seufzte sein Vater und blickte zur Seite.
»Das stimmt allerdings, doch ich vermute, dass es sein Ziel war, in unserer Kolonie eine gewisse Hysterie auszulösen. Das war bestimmt nicht freundlich gemeint. Und nun noch mal zu den letzten Informationen: Frag dich doch einmal selbst, Dämmer, warum sollte ein Vogel uns helfen wollen, besonders nach dem, was sie Aeolus angetan haben?«
»Vielleicht wollte er einfach …« Seine Stimmer erstarb. Er hätte so gerne erklärt, dass Teryx ihm dafür danken wollte, weil er das Vogelnest gerettet hatte. Aber das ging nicht, ohne Sylph eine Menge Schwierigkeiten zu bereiten.
Er seufzte. Es könnte ja sein, dass die Theorie seines Vaters richtig war, doch er glaubte immer noch nicht, dass Teryx gelogen hatte. Wenn Teryx der Kolonie hätte schaden wollen, hätte er seinem Schwarm nur von Sylphs Angriff auf das Nest erzählen müssen und damit einen Wirbelsturm von Schwierigkeiten entfacht.
»Ich hab nur gedacht, es wäre das Beste, es zu erzählen«, sagte er kleinmütig, wobei er nicht in der Lage war, seinem Vater in die Augen zu blicken. »Falls der Vogel doch die Wahrheit gesagt hat.«
»Es war gut, dass du es mir erzählt hast, Dämmer. Aber hör nicht darauf. Zwanzig Jahre lang waren wir auf der Insel sicher. Das Wasser zieht sich nur für eine sehr kurze Zeit zweimal am Tag zurück. Nur wenige Tiere dürften das bemerken oder versuchen, herüberzukommen.«
»Aber wenn sie es tun …«
»Im Moment sind die Vögel die einzigen Wesen, die uns beunruhigen. Andere Tiere waren nie eine Gefahr. Die Feliden sind Freunde. Ich habe sie niemals anders als ehrenwert und friedliebend erlebt.«
Dämmer glaubte nicht, dass es besonders klug war, die Warnung des Vogels so vollkommen zu missachten. Er ertappte sich dabei, dass er darüber nachdachte, was Nova davon halten würde, und empfand sich selbst als untreu.
»Du musst dir nicht so viele Gedanken machen«, sagte sein Vater und streichelte ihn liebevoll.
»Ich frage mich nur, ob es die Kolonie nicht besser erfahren sollte«, platzte es aus Dämmer heraus.
»Glaub mir, wir können der Kolonie ruhig eine weitere Sorge ersparen. Du bist zwar scharfsinnig, Dämmer, aber du bist auch immer noch ein Neugeborener. Du kannst nicht alles wissen. Eines Tages vielleicht, aber jetzt noch nicht.«
Dämmer empfand das als eine freundliche Zurechtweisung, doch zugleich war er für die Beruhigung dankbar. Sein Vater war der Anführer und das schon seit Jahrzehnten. Natürlich würde alles in Ordnung sein.
An diesem Nachmittag glitt Dämmer durch die Lichtung. Er war hungrig und es leid, auf der Rinde nach Läusen zu scharren. Vor allem aber war er es leid, ein umherschleichender Einsiedler zu sein. Er wollte an keinem Giftpilz mehr lecken, Stimmen hören und sehen, wie sich die Sterne bewegten. Was er wirklich wollte, war, dass das Leben wieder normal würde – oder so normal, wie das bei allem, was passiert war, möglich sein konnte. Es tat gut, wieder in der Luft zu sein, und vielleicht brauchte er auch nicht mehr zu fliegen. Er bemühte sich jedenfalls, alles, was das betraf, zu vergessen.
Er jagte eine Weile und versuchte dabei, sich nicht darum zu kümmern, dass die anderen Chiropter ihn immer noch mieden. Vielleicht würde sich das mit der Zeit ändern. Er fing etwas Essen, einschließlich einer interessant schmeckenden Schnepfenfliege. Als er plötzlich seine Schwester sah, dachte er zuerst, sie würde ihn nicht beachten, doch als sie dann neben ihm daherglitt, wurde ihm warm ums Herz.
»Danke, dass du nichts erzählt hast«, sagte sie.
»Das hab ich aber getan.«
Sie sah ihn schockiert an. »Was?«
»Gerade eben. Du kriegst jetzt eine Menge Ärger. Papa wartet auf dich beim Schlafplatz.«
Vor lauter Bestürzung stotterte sie. »Aber du … du hast gesagt, du würdest nicht …«
»Ich
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