Nachtflug Zur Hölle
dann. Während Curtis die nötigen Befehle erteilte, griff Preston nach dem Hörer des roten Telefons, um direkt mit dem Weißen Haus zu sprechen.
„Bewegung! Los, bewegt euch!“ brüllte Oberst Nikita Kortyschkow mit sich überschlagender Stimme. Der mit einem AK-47 bewaffnete Kommandeur der OMON-Wachmannschaft stieß vorbeilaufende Soldaten in den Rücken, um sie zu schnellerer Gangart anzutreiben.
Selbst eine fast 500köpfige Wachmannschaft war so gut wie hilflos, bevor sie ihre für den Alarmfall vorgesehenen Posten eingenommen hatte.
Oberst Kortyschkow hatte versagt, aber er redete sich ein, das sei nicht seine Schuld. Er hatte die ersten Funkmeldungen über das Eindringen starker Kräfte aufs Institutsgelände für einen Übungsalarm gehalten. Die Wachmannschaft des Konstruktionsbüros war nie in solche Übungen einbezogen worden, aber auf dem Reaktorgelände und in anderen Teilen des Instituts fanden häufig sehr realistische Sicherheitsüberprüfungen statt. Obwohl dieser Einsatz nicht als Übungsalarm angekündigt worden war, hatte Kortyschkow trotzdem auf einen getippt, weil gemeldet wurde, mindestens drei Bataillone stießen aufs Institutsgelände vor.
Lächerlich! hatte er gedacht.
Nur Minuten später hallte ein Schuß aus einer Panzerkanone wie ein Donnerschlag übers Gelände. Panische Funkmeldungen besagten, starke feindliche Kräfte seien auf den Stützpunkt vorgedrungen, hätten das Stabsgebäude in Trümmer geschossen, wobei die halbe Wachmannschaft gefallen sei, und rückten nun aufs Konstruktionsbüro vor. Wieviel davon zutraf, konnte der Oberst nicht beurteilen. Aber unterdessen war ihm klargeworden, daß es besser war, das Schlimmste anzunehmen.
»Sie besetzen mit Ihren Leuten und vier Maschinengewehren das Dach«, befahl er einem seiner Zugführer. »Lassen Sie für den Fall, daß die Lichter ausgeschossen werden, Nachtsichtgeräte ausgeben.
Besteht wieder Funkverbindung mit dem Stabsgebäude und Oberstleutnant Stepanow? Und warum laufen alle diese Männer so ziellos herum?«
Im nächsten Augenblick erkannte Kortyschkow Wadim Teresow, den Adjutanten des ranghöchsten KGB-Offiziers auf dem Stützpunkt. General Gabowitsch und er hatten ihre Diensträume im ober-321
sten Stock des Sicherheitsgebäudes, und Teresow war häufig schon einige Stunden vor Gabowitsch da. Kortyschkow versuchte, den Mann zu ignorieren, während er links und rechts Befehle gab, aber wie sich rasch zeigte, hielt Teresow nach ihm Ausschau und war durch nichts aufzuhalten.
Der KGB-Offizier drängte sich zu Kortyschkow vor und sagte halblaut: »Ich muß Sie sofort sprechen, Oberst.«
»Nicht jetzt, Genosse…«
»Sofort, Oberst.« Teresow zog den OMON-Kommandeur beiseite. »Haben Sie den Zulu-Befehl ausgeführt?«
Der Zulu-Befehl legte fest, daß alle Häftlinge im untersten Zellengeschoß, dem sogenannten »Zulu-Bereich«, zu liquidieren waren, wenn das Gebäude angegriffen wurde. Dieser Befehl war nach den Unruhen vor dem Reaktorgelände erlassen worden, als sich gezeigt hatte, daß nur die entschlossene Gegenwehr der Schwarzen Barette die Erstürmung des Stützpunkts und eine politisch brisante Gefangenenbefreiung verhindert hatte. Die Häftlinge sollten aus den Zellen geholt, durch Genickschuß getötet und in den Ofen der Müllverbrennungsanlage im Keller des Gebäudes geworfen werden.
Im Augenblick gab es unten im Zulu-Bereich nur einen Häftling: Dr. Iwan Sergejewitsch Oserow.
Kortyschkow mußte erst überlegen. Dann begriff er, wovon Teresow sprach, und schluckte trocken. »Die Gefangenen!«
»Nicht so laut, Idiot!« fauchte Teresow, weil immer wieder Soldaten in Hörweite vorbeikamen. »Ja, die verdammten Gefangenen.
Sorgen Sie gefälligst dafür, daß der Befehl ausgeführt wird.«
»Ich habe keine Zeit, Häftlinge … die Ausführung dieses Befehls zu überwachen«, stammelte der Oberst. Teresow merkte ihm an, daß er vor Angst wie gelähmt und zur Abwehr des gegenwärtigen Angriffs völlig ungeeignet war, «Die Verbindung zu Oberstleutnant Stepanow ist abgerissen«, berichtete Kortyschkow, »aber ich werde meinen Panzerjägerzug westlich der Startbahn zum Gegenangriff antreten lassen.«
»Dummkopf! Sie wissen genau, daß Sie in erster Linie dem KGB und General Gabowitsch verantwortlich sind!«
Kortyschkow riß die Augen auf, als Teresow vom KGB sprach – aber natürlich wußte jeder, daß der »alte« KGB seine Aktivitäten nie eingestellt hatte. Der neue MSB, dem Kortyschkow angehörte, war
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