Nachtflug Zur Hölle
– höchstens die in Daugavpils stationierte.«
»Sie wissen also, wo die Atomraketen stehen?« fragte Dwornikow. »Sie können ihre Standorte genau angeben?«
»Natürlich«, sagte Gabowitsch und schenkte sich reichlich Cognac nach. »Ich muß doch damit rechnen, daß mich das alte Schlachtroß zu liquidieren versucht. Anscheinend vermutet er mich in Minsk, denn er hat die drei SS-21 mit unseren Fisikus-Sprengköpfen in Kurenez aufstellen lassen. Von dort aus können sie Minsk und Wilna gleich gut erreichen.«
»Und Sie glauben also, daß die Vernichtung mehrerer Millionen Menschen und die Zerstörung zweier europäischer Hauptstädte das Ende der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und die Rückkehr der alten Sowjetunion bewirken werden?«
»Natürlich bedeutet das die Auferstehung der Sowjetunion!«
sagte Gabowitsch gereizt. »Nach diesem Überfall besetzt Rußland logischerweise Weißrußland. Danach bleibt Rußland keine andere Wahl, als die übrigen Republiken zu unterwerfen, die noch Atomwaffen besitzen: die Ukraine, Aserbeidschan, Usbekistan und Kasachstan. Das bedeutet das Ende der Gemeinschaft, die durch ein starkes, dominierendes Rußland abgelöst wird – und so soll’s auch sein!«
Dwornikow betrachtete nachdenklich die bernsteingelbe Flüssigkeit in seinem Glas. »Und der Tod von Millionen Menschen – auch russischer Landsleute – stört Sie nicht weiter?«
»Stören? Genosse General, ich rechne damit! Läßt sich ein besserer Schlußstrich ziehen als mit Atomwaffen? Wissen Sie eine bessere Methode, unsere Heimat von Reformbefürwortern, Reaktionären, Nationalisten, Imperialisten und Kapitalisten zu befreien? Wie es im Schützengraben keine Atheisten gibt, gibt’s nach einer Atomexplo-472
sion keine Liberalen mehr. Unsere Bürger werden erkennen, daß ohne eine starke Sowjetunion ein noch größeres Chaos droht. Dann ist wieder alles wie früher: Rußland gewinnt sein Ansehen und seine Macht zurück, ausländische Einflüsse werden zurückgedrängt, und die Zentralregierung hält das Heft fest in der Hand.«
Das alles bewies Dwornikow, daß er einem sehr beherrschten, sehr ruhigen, aber völlig verrückten Mann gegenübersaß, Gabowitsch genoß seit vielen Jahren den Ruf, ein nüchterner Realist zu sein, aber in letzter Zeit hatte es Andeutungen gegeben, die eher das Gegenteil besagten. Vermutlich war er noch verrückter als Woschtschanka.
Und trotzdem… klangen seine Ausführungen irgendwie logisch.
War es vorstellbar, daß Gabowitschs verrückter Plan etwa doch funktionierte? Darüber würde er nachdenken müssen.
»Ich sehe jetzt, was Sie vorhaben, Wiktor Jossifowitsch«, sagte er schließlich, »Ich hatte schon angefangen, mir Ihretwegen Sorgen zu machen: Ich habe befürchtet, Sie wollten die Sowjetunion verraten und zu Woschtschanka überlaufen …«
»Niemals!« beteuerte Gabowitsch.
»Das ist mir jetzt klar«, sagte Dwornikow. »Aber wie wollen Sie sicherstellen, daß Woschtschanka die Atomraketen tatsächlich einsetzt? Er hat sich mit diesem Plan einverstanden erklärt, aber wir wissen beide, daß er nicht gerade intelligent ist. Wo befindet sich seine Kommandozentrale in Smorgon? Steht sie in ständiger Verbindung mit seinen Raketentruppen? Kann er ihnen den Abschußbefehl über Funk oder eine Datenleitung übermitteln?«
»Selbstverständlich«, versicherte ihm Gabowitsch. »Das im Fisikus entwickelte Datenübertragungssystem ist das modernste der Welt. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen darüber zu machen, ob Woschtschanka den Befehl gibt – er wird’s tun! Schon in wenigen Stunden werden wir hören, daß eine Atomrakete abgeschossen worden ist.«
»Ich wollte, ich wäre so zuversichtlich wie Sie, daß alles klappen wird, Wiktor Jossifowitsch. Ich wäre beruhigter, wenn ich diese Gewißheit hätte.«
»Das bezweifle ich«, widersprach Gabowitsch nüchtern. »Sie wollen wissen, wo die Kommandozentrale liegt, weil Sie vorhaben, Woschtschanka daran zu hindern, die Raketen einzusetzen. Aber warum wollen Sie ihm in den Arm fallen? Sie sind in der alten Sowjetunion ein mächtiger Mann gewesen, Boris Grigorjewitsch – möchten Sie diesen Zustand nicht wiederherstellen?«
»Mir wäre wesentlich wohler, wenn statt eines Verrückten wie Woschtschanka jemand wie Sie über diese Waffen verfügen könnte.«
Gabowitsch betrachtete ihn mißtrauisch, Schmeichelei paßte nicht zu Dwornikow. Tatsächlich hatte er sich damit entlarvt. »Versuchen Sie nicht, mich einzuwickeln«,
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